DEUTSCHLANDS SCHÖNSTE MÄRKTE: MARKTHALLE STUTTGART

Alles unter einem Dach: Was wäre Stuttgart ohne seine beeindruckende Markthalle? Das im Januar 1914 eingeweihte historische Schmuckstück ist nur knapp der Zerstörung entgangen. In den 1970er-Jahren wäre die zweigeschossige Markthalle mitten im Zentrum beinahe abgerissen worden. Heute gilt das Jugendstil-Gebäude des Architekten Martin Elsaesser als eine der schönsten Markthallen Deutschlands und steht unter Denkmalschutz. Mit Arkaden, Erkern und Türmchen fügte sich die Fassade harmonisch in die damals noch intakte Stuttgarter Altstadt, während das Innere des Baudenkmals mit Stahlbetonträgern und Glasdach für die Entstehungszeit sehr modern konzipiert war.

Auf 6800 m² sorgen gleich mehrere der etwa 33 Stände für südländisches Lokalkolorit und Mittelmeerflair und bieten französische, persische, spanische, griechische, türkische, ungarische, kroatische und viele weitere Spezialitäten an – von A wie Aprikosen bis Z wie Ziegenkäse praktisch alles, was man sich an Essbarem nur wünschen kann. Für tagesfrischen Fisch und Meeresfrüchte sorgt die Fischhalle Looß, an deren Austernbar leider nur schwer ein Platz zu ergattern ist. Mit einem Glas Sekt oder beim Cappuccino auf das bunte Treiben in der Markthalle schauen, das geht aber auch im Restaurant Empore oben auf der Galerie. Mein Lieblingsziel ist der Stand für französische Spezialitäten von Gunther Ludwig, der neben Pasteten und Charcuterie rund 200 Käsesorten führt, auch meine Favoriten Fourme d’Ambert, Saint-Nectaire, Comté, Beaufort, Cantal, Munster, Gaperon, Picodon…

Genießen wie in Italien: Über dem großen Marktstand von Di Gennaro hängt der Himmel voller Schinken. Die lange Glastheke ist Anlaufstelle für Liebhaber der italienischen Küche und Produkte – das Anstellen lohnt sich! In der Auslage türmen sich Wurst und luftgetrockneter Schinken, hier wird köstlicher Käse aus allen Regionen Italiens verkauft, erhält man frische Pasta und hausgemachte Antipasti, Büffelmozzarella und Burrata, Salsicce und Fenchelsalami. In den Regalen rundherum reihen sich Köstlichkeiten aneinander: erstklassiges Olivenöl, Wein aus den verschiedenen Anbaugebieten Italiens, Prosecco und Grappa, Pesto und Nudelsaucen. Schon seit 1991 ist Di Gennaro fester Bestandteil der Markthalle und quasi kulinarischer Botschafter Italiens. Wer will, kann die Marktatmosphäre gleich vor Ort genießen: bei einem Glas Wein oder Prosecco in der Vinothek gegenüber. Für den kleinen Hunger gibt’s Panini, belegt mit gegrillten Zucchini und Auberginen oder mit frisch geschnittenem Rosmarinschinken.

Alte Landrassen: Dry Aged ist Kult und versetzt neuerdings Fleischliebhaber in Verzückung. Am Knochen gereiftes, trocken abgehangenes Rindfleisch liefert die besten Steaks der Welt, heißt es. Dry-Aged-Steaks bekommen Kunden selbstverständlich auch am Stand der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall in der Markthalle, und hinter der Verkaufstheke reifen ganze Rinderrücken in einem großen Glaskühlschrank. Doch eigentlich geht es hier um Tradition und alte Landrassen. Das Steak stammt vom Weiderind Bœuf de Hohenlohe; Fleisch vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein, von Zicklein, Kalb und Hohenloher Lamm aus Mitgliedsbetrieben sowie Innereien ergänzen das Angebot. Wegen ihrer vorzüglichen Fleischqualität gelten die Schwäbisch-Hällischen Landschweine als »Gourmetschweine« und stehen bei Sterneköchen hoch im Kurs. »Ripp, ripp, hurra!« konnte sich auch das Magazin »Beef« für Spare Ribs vom Landschwein begeistern. Fast galt die Rasse schon als ausgestorben. Rudolf Bühler, Vorstand und Gründer der Erzeugergemeinschaft,hat sie wieder zu neuem Leben erweckt und sorgt heute mit rund 85 weiteren Hohenloher Bauern für den Erhalt.

Feinschmecker schätzen die Salamisorten, Bauernschinken, Pfefferbeißer und Landjäger. In Dosen gibt’s zudem Blut-, Leber-, Bratwurst und mehr, bestens geeignet als kulinarische Mitbringsel. Das Trockenreifen des Fleisches am Knochen ist übrigens ganz und gar nicht neu, sondern ein traditionelles Verfahren, das nur fast in Vergessenheit geraten war. Inzwischen vermarktet die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall sogar Dry Aged Pork. Es herzustellen ist nur aus dem Fleisch von alten Landrassen möglich, das weniger Wasser enthält.

Regionales: Zwischen Ständen wie dem Mercato Espanol, dem Puszta-Stand, dem Asiamarket und den Griechen Pantoulakis und Pappas muss man Baden-Württemberger Spezialitäten fast suchen. Eine gute Anlaufadresse für Maultaschen, schwäbische Eierspätzle, Albleisa (Linsen), Schwarzwälder Rauchfleisch, schwäbischen Cider und mehr ist Feinkost Böhm, dessen Haupthaus in der Kronprinzstraße internationale Delikatessen in noch deutlich größerer Auswahl bietet. Hochland Kaffee wiederum ist in Stuttgart ein Garant für hochwertige Kaffeeröstungen. Meine Hausmetzgerei, die Albmetzgerei Failenschmid, setzt auf artgerechte Tierhaltung, nachhaltiges Handeln, kurze Transportwege und überwiegend von den Bauern selbst angebautes Futter auf der Schwäbischen Alb. Failenschmid stellt ebenfalls Maultaschen her, Spezialitäten sind aber vor allem Fleisch, Schinken und Hausmacherwurst vom Albbüffel und vom Alblinsenschwein. Mein Tipp: das Rinderrauchfleisch, der luftgetrocknete Lardo und die luftgetrocknete Salami.

Ceres: Die grünblau glasierte Göttin wirkt denkbar relaxt. Dass sie hier nackt mitten im lebhaften Getümmel der Markthalle sitzt, scheint sie nicht im Geringsten zu stören. Sie ist den Rummel gewöhnt, schließlich herrscht nicht nur an den Markständen im Erdgeschoss permanent Betrieb, sondern sie wurde auch schon oft abgelichtet – als echtes Hingucker-Motiv findet sie sich in vielen Fotobänden über die Landeshauptstadt. Über einem ebenfalls mit Majolikafliesen verzierten Brunnenbecken ziert die römische Ackerbau-Göttin mit zwei anschmiegsamen Knaben eine Rundbogennische. 1916, zwei Jahre nach dem Bau der Markthalle, wurde der Brunnen zwischen den Treppenaufgängen zur Empore eingebaut. Gefertigt hatte ihn die Majolikamanufaktur Karlsruhe – heute ein ehrwürdiges Traditionsunternehmen, damals aber gerade erst anderthalb Jahrzehnte alt. 1901 hatte der badische Großherzog Friedrich I. dem Bau einer keramischen Werkstatt zugestimmt, in der die so genannte »Majolika-Technik« wieder aufleben sollte. Bei diesem Verfahren wird eine zinnhaltige Opakglasur mit glänzender Oberfläche auf die Keramiken aufgebracht. Sie dient als Basis für farbige Aufglasdekorationen. Traditionell glasierte man vor allem in Spanien und Italien auf diese Weise.

Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte das Original von Bildhauer Ulfert Janssen überdauert, doch bei den Luftangriffen im Jahr 1944 wurde die Figurengruppe zerstört. Mehr als 60 Jahre fehlte die Schutzpatronin der Marktstände, bis sie zum 95-jährigen Jubiläum der Markthalle im Jahr 2009 wieder installiert wurde. Der Förderverein Alt Stuttgart gab die detailgenaue Rekonstruktion des Keramikbrunnens in Auftrag, die Herbert Rauer aus Osnabrück nach historischen Zeichnungen und Fotos anfertigte.

DekorativissimoWie die historische Stuttgarter Markthalle ist auch Merz & Benzing im Obergeschoss weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt, denn der Concept Store für Küche und Tisch, Bett und Bad, Garten, Beauty und Lifestyle übt eine magische Anziehungskraft aus. Die Herde von La Cornue zum Preis eines Kleinwagens treffen auf Gartengeräte der fränkischen Werkzeugmanufaktur Krumpholz, handgeschmiedetes Kupfergeschirr auf Bettwäsche der Leinenmanufaktur Leitner, duftende Seifen auf blühende Topfpflanzen, edles Badzubehör auf hübsche Plaids und Tagesdecken… DIY-Freunde, die ihr Heim selbst verschönern wollen, finden hier die exklusiven Wandfarben und Tapeten der englischen Traditionsfirma Farrow & Ball ebenso wie Meterware mit schönen Mustern und besonderen Designs für Vorhänge, Hussen oder Kissen. Sorgfältig ausgewählte Bücher liefern Rezepte oder Inspiration für Einrichtung und Dekoration, auch eine kleine Auswahl an Kosmetik gehört zum Sortiment. Die Inhaber Dorothee Merz und Martin Benzing Wert legen auf schönes Design, erstklassige Materialien, solide Handwerkskunst und beste Verarbeitung. Mit ihren Lieblingsstücken okkupieren sie die offene Galerie im Obergeschoss, dazu kommen frische Schnittblumen im Erdgeschoss und Möbel im Untergeschoss – oft weit gereiste Einzelstücke aus Afrika, Asien und Amerika. Kein Wunder, dass nicht nur die Markthalle, die 2014 ihren hundertsten Geburtstag feierte, sondern auch Merz & Benzing zu den Lieblingsadressen vieler Stuttgarter und Stuttgart-Besucher gehört.

 

Markthalle, Dorotheenstr. 4, 70173 Stuttgart, Haltestelle Schlossplatz oder Charlottenplatz

Öffnungszeiten der Halle Mo–Fr 7.30–18.30 Uhr, Sa 7–17 Uhr, die einzelnen Stände teils abweichend

Mal abgesehen von Wochenmärkten unter freiem Himmel wie in Nizza und Paris besuche ich in Frankreich neben kleineren Markthallen wie in Colmar besonders gern den Marché des Capucins in Bordeaux, den Marché de Talensac in Nantes, die offenen Markthallen in Cannes und Antibes sowie die Halles Paul Bocuse in Lyon.

Markthalle Stuttgart

Markthalle Stuttgart

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Markthalle Stuttgart

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