NEUE SACHBÜCHER IM FRÜHJAHR 2024
Biografisches und Autobiografisches: Freuen darf man sich auf zwei Bände aus der Anderen Bibliothek. In eine »Eine Jugend in Deutschland« beschreibt Ernst Toller die ersten 30 Jahre seines Lebens, »ein packendes Stück deutscher Geschichte«: Aus dem Ersten Weltkrieg kehrt er als Pazifist zurück, wird Anführer der Räterepublik und erlebt ihr Scheitern. Aus seiner fünfjährigen Festungshaft wird er 1924 entlassen (Die Andere Bibliothek, Januar). Die Auswahl über »Die Pariser Jahre« (Die Andere Bibliothek, Juni) aus den Tagebüchern 1932–1963 von Thea Sternheim traf Herausgeber Thomas Ehrsam. »Sie zeigt Thea Sternheim in der Emigration, der drückenden Vorkriegszeit, als Häftling im Lager Gurs, unter deutscher Besatzung und schließlich in den auch in Frankreich schwierigen fünfziger Jahren.« Eine Biografie von »Gabriele Tergit« geschrieben hat Nicole Henneberg (Schöffling Verlag, Februar), auch Herausgeberin der Werke der jüdischen Autorin und Journalistin (erschienen im selben Verlag).
Geschichte und Literatur: Schon mit seinem vorherigen Buch über Künstlerkolonien von Barbizon bis Monte Verità hat Andreas Schwab nicht nur den freizügigen Lebensstil der Maler und Literaten beschrieben, sondern auch die Orte vergegenwärtigt, an denen sie als »Aussteiger« den gutbürgerlichen Normen entkommen wollten. In »Freiheit, Rausch und schwarze Katzen« (C.H.Beck Verlag, Februar) liefert er nun eine atmosphärische »Geschichte der Boheme«, »jener künstlerischen Subkultur, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Paris und Wien, München und Berlin entwickelte. Im selben Verlag setzt Uwe Wittstock mit »Marseille 1940« die inzwischen unzählige Titel umfassende Serie der Jahresbücher fort. Nachdem er sich zuvor mit »Februar 1933« der Chronik eines Krisenmonats vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten annahm, verfolgt er nun das Thema »Die große Flucht der Literatur« (C.H.Beck, Februar) und erzählt »von unfassbarem Mut und größter Verzweiflung, von trotziger Hoffnung und Mitmenschlichkeit in düsterer Zeit«. Rainer Haubrich, seit Langem bei der Zeitung Die Welt als Redakteur tätig, hat schon dem Berliner Kurfürstendamm ein Buch gewidmet. In seiner »kurzen Geschichte des berühmtesten Boulevards der Welt« über »Die Champs-Elysées« erzählt der Journalist von den großen Feiern und Demonstrationen, geschichtlichen und kulturellen Ereignissen auf der Pariser Prachtstraße (Insel Verlag, März). Keine Neuerscheinung ist »Ex Libris« von Anne Fadiman (Schöffling Verlag, März), sondern eine Neuausgabe der zuvor bei SchirmerGraf und Diogenes erschienenen »Bekenntnisse einer Bibliomanin«. Mit etwas geändertem Untertitel geht es um das Leben mit Büchern und die Liebe zu Büchern – allein schon wegen des Kapitels »Wenn Bibliotheken heiraten« eine Leseempfehlung!
Gedöns und Generationen: Die bekannte US-amerikanische Autorin, Filmemacherin und Kritikerin Susan Sontag (1933–2004) schrieb Romane und Kurzgeschichten, Essays und kulturkrische Werke. Der angekündigte Band »Über Frauen« (Hanser Verlag, April) ist nicht ein schon zu Lebzeiten von Amerikas berühmtester Intellektueller in dieser Auswahl erschienener Titel, sondern versammelt »ihre wichtigsten Texte zu ästhetischen, politischen und ökonomischen Aspekten des Frauseins«, herausgegeben von ihrem Sohn David Rieff, der auch Susan Sontags Tagebücher posthum veröffentlichte. Statt eines Geschlechts nimmt sich der Soziologe Heinz Bude mit »Abschied von den Boomern« (Hanser Verlag, Januar) das Porträt einer Generation vor. Mit den geburtenstarken Jahrgängen der 1955 bis 1970 Geborenen, die nun zu den Älteren zählen, verabschiedet sich »auch ein Lebensgefühl, das unsere Gesellschaft über Jahrzehnte geprägt hat«. Ob das Buch die gedruckte Fassung seiner Abschiedsvorlesung ist, die Bude an der Universität Kassel hielt, wo er als Professor für »Makrosoziologie« lehrte, oder eine erweiterte Fassung? Jedenfalls nutzt er den oft abfällig verwendeten Begriff als demografische Kategorie, um den Erfahrungen der Boomer vom Aufwachsen in den 1960er-Jahren bis heute nachzugehen.
Gärten und Gezeiten: Für das Frühjahr ist ein »Gartenführer Schweiz« angekündigt (AT Verlag, März 2024), verfasst von der Journalistin Sarah Fasolin, der die klassischen Gartenreiseführer durch England, Frankreich und Deutschland aufs Beste ergänzen dürfte und Gartenliebhaber zu Kloster- und Bauerngärten, in Villengärten und Parks sowie zu hochgelegenen Alpengärten führt. In der romanhaften Biografie »Hinter den Gärten die Welt« porträtiert Karin Seeber (Schöffling Verlag, Februar) die Gartenforscherin Marie Luise Gothein (1863–1931). Die Pionierin und Abenteurerin erkundete auf ihren Reisen Europa, China, Japan und Java und verfasste mit ihrer Geschichte der Gartenkunst ein Standardwerk. Durch Gezeiten geprägt ist die Küste an der Nordsee – und das größte Schlickwattgebiet der Welt. Nach Büchern über Flüsse wie die Elbe, den Wald, die Alpen und die Ostsee beschreibt der emeritierte Professer für Pflanzenökologie Hansjörg Küster das »Das Watt« (Beck, Februar) als einzigartige, aber bedrohte Landschaft und erzählt von Begegnungen mit Menschen. Den Debatten und Konflikten um die Böden weltweit gehen die Journalistinnen Christiane Grefe und Tanja Busse in »Der Grund« nach (Kunstmann Verlag, März): »Der Grund, der Boden ist existenziell für Ernährung, Wasser und Klimaschutz. Ohne Boden kein Leben. Doch Boden ist gefährdet: überdüngt, vertrocknet, zubetoniert. Er wird teurer, ist umkämpft.«
In eigener Sache: Einzelne Bände aus der kulinarisch-kulturgeschichtlichen Reihe »Kleine Gourmandisen« aus dem Mandelbaum Verlag habe ich hier schon vorgestellt, etwa über Nüsse oder Gemüse wie Erbsen. Nun erscheint dort das von mir selbst verfasste »Buchweizen« (März). Ich erzähle darin, wie das »Sarazenenkorn« aus Asien nach Europa kam, und zeige im Rezeptteil, dass die bretonischen Galettes »nicht die einzige kulinarische Verwendungsmöglichkeit sind«.
Alle Zitate in den Empfehlungen stammen aus den Verlagsvorschauen.