PARISER ATELIERS: CHANA ORLOFF
»Sculpter l’Epoque«: Die Skulpturen der Bildhauerin Chana Orloff (1888–1968) sind mir das erste Mal in der Ausstellung »Paris magnétique« im Jüdischen Museum in Berlin begegnet. In der Ukraine als Tochter einer jüdischen Familie noch im russischen Reich geboren, kam Chana Orloff 1910 nach Paris. In der französischen Metropole suchte die als zuvor als Näherin beschäftigte junge Frau zunächst eigentlich eine Lehrstelle in der Modebranche (die sie im Haute Couture-Haus Paquin fand). Doch bald wendete sie sich der Kunst zu – ausgerechnet der von Männern dominierten Bildhauerei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Paris die erste Adresse, um Kunst zu studieren, in Gemeinschaftsateliers zu arbeiten und in der kosmopolitischen Kunstszene Kontakte zu Kollegen, Galeristen und Mäzenen zu knüpfen – auch für aufstrebende junge Frauen, denen es anderswo noch schwerer gemacht wurde, ernsthafte künstlerische Ambitionen zu verwirklichen. Chana Orloff experimentierte mit Marmor, Bronze, Beton, Gips, bevorzugte aber ihr Leben lang die Arbeit mit Holz. Schnell erfolgreich als eine der gefragtesten Porträtisten ihrer Zeit, konnte sie von ihrer Kunst leben, stellte in New York und Tel Aviv aus und ließ sich 1926 von dem renommierten Architekten Auguste Perret ein modernistisches Atelierhaus bauen. Bei der Recherche zu ihrer Biografie fand ich erfreut heraus, dass diese ehemalige Werkstatt in Paris ab und zu (nach Voranmeldung) zu besichtigen ist. Und noch bis zum 31. März 2024 widmet das Musée Zadkine als erstes französisches Museum dieser außergewöhnlichen Künstlerin eine Werkschau.
Villa Seurat: Die zahlreichen Exponate der Ausstellung kommen allesamt aus diesem ehemaligen Atelier von Orloff in der Villa Seurat, einer ruhigen Sackgasse im 14. Arrondissement. Chaim Soutine (1893–1943) war dort ihr Nachbar und gehörte ebenso zu ihrem Freundeskreis wie Zadkine, Chagall und Modigliani, der sie porträtierte. Nebenan und auch gegenüber stehen acht weitere Atelierhäuser des Architekten André Lurçat (1894–1970) in dieser einzigartigen Künstlersiedlung. Die in den 1920er-Jahren gefragte Künstlerin verewigte ihre Freunde in Büsten, und die Leihgaben an das Zadkine-Museum sind nach der Ausstellung wieder in der Villa Seurat Nr. 7bis zu sehen, wenn Orloffs Enkel freitags und am Wochenende den Besuch ermöglichen. 1916 hatte Chana Orloff den Dichter Ary Justman geheiratet, der jedoch schon 1919 an der Spanischen Grippe starb. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte die alleinerziehende Mutter großen Erfolg, wurde 1925 mit dem Verdienstorden der »Légion d’honneur« (der ranghöchsten Ehrung Frankreichs) ausgezeichnet und erhielt mit ihrem Sohn die französische Staatsbürgerschaft. Der Zweite Weltkrieg und die Besetzung Frankreichs durch die Nazis bedeuteten nicht nur eine Zäsur für ihre Karriere, sondern Lebensgefahr für ihre Person durch die verbrecherische Judenverfolgung.
Paris unter der Okkupation: Zwar blieb Orloff trotz der lebensbedrohlichen Situation während der Besatzung durch die Nazis zunächst in Paris, lebte versteckt und fertigte nur noch kleinformatige »Taschenskulpturen«, doch 1942 – kurz vor der Razzia des Vel’d’Hiver gewarnt – musste sie in die Schweiz flüchten. Als Chana Orloff 1945 nach Paris zurückkehrte, stand sie vor einem verwüsteten und geplünderten Atelier, muss verschmerzen, dass maßgefertigtes Mobiliar und über 140 ihrer Skulpturen verschwunden sind (Fotografien der geraubten Skulpturen sind auf der Website lostart.de zugänglich). Eines ihrer gestohlenen Werke, »Das Kind Didi«, eine Holzskulptur ihres Sohns, wurde gerade erst im Jahr 2023 zurückgegeben, nachdem es 2008 bei einer Auktion in New York aufgetaucht war. Nach dem Krieg hielt sich Chana Orloff immer häufiger in Israel auf und starb 80-jährig als bekannte Künstlerin in Tel Aviv. In Paris ist im 19. Arrondissement eine Straße nach der Bildhauerin benannt, ihr Atelierhaus als »Maison des Illustres« gekennzeichnet (eine vom Kulturministerium vergebene Ehrung, mit der an Frauen und Männer erinnert werden soll, die sich in der politischen, sozialen und kulturellen Geschichte Frankreichs ausgezeichnet haben).
Musée Zadkine: 100bis rue d’Assas (6e), www.zadkine.paris.fr
Ateliers-Musées Chana Orloff: 7bis Villa Seurat (14e), www.chana-orloff.org