TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: PARIS GLÄNZT IN GOLD
Die Sprache der Farben: Der Farbpsychologie zufolge ist Gelb fröhlich und optimistisch, Grün beruhigt, Rot wirkt aggressiv und leidenschaftlich, Blau gilt als kühl und nüchtern. Entsprechend viel Aufmerksamkeit erhalten die Farben im Corporate Design, bei der Auswahl für groß und fett gedruckte Wortmarken wie für Logos. Organisationen, die mit Umweltschutz zu tun haben, oder Unternehmen, die Bioprodukte herstellen, wählen gern Grün als Farbe der Natur. Bei einem technischen oder medizinischen Background soll Blau Vertrauen schaffen, wer sich für knalliges Rot entscheidet, will eine Signalwirkung erzielen. Zwar gibt es in westlichen oder östlichen Kulturkreisen durchaus Unterschiede, so ist etwa Orange eine Farbe, die in Asien Assoziationen mit Religion auslöst. Doch bei Gold ist Farbpsychologie überflüssig, die Farbe wird von den meisten Menschen gleich »verstanden« – über Jahrhunderte stand sie für Kostbares. Mit Blattgold verkleidet oder mit Goldfarbe bemalt waren die prunkvollen Festsäle des Adels, und ohne Gold sind weder die Buchmalerei des Mittelalters noch die üppig ausgestatteten Kirchen und Schlösser des Barock denkbar.
Funkelnder Glanz: Nichts steht so sehr für puren Luxus wie Gold – es ist die Farbe von Glamour, Wohlstand, Prestige, Noblesse. Goldene Lettern werden daher gern von Beauty- und Modeunternehmen verwendet, ein bekanntes Beispiel ist die Luxusmarke Louis Vuitton, heute ein weltweit tätiger Konzern, der einst als Hersteller exklusiver Koffer und Lederwaren begann. Durch Schriftzüge in Gold bekommen Läden einen Hauch von Eleganz, klassische Versalien mit Serifen fügen dem noch den Aspekt der Tradition hinzu – Diptyque ist bekannt als Hersteller von hochwertigen und recht teuren Duftkerzen, Ladurée für feine Macarons. Die Kombination mit Weiß wie bei der Parfümmarke Annick Goutal verleiht dem goldfarbenen Schriftzug eine dezentere Eleganz. Auch ausgezeichnete Konditoren der Oberklasse wie der alteingesessene, 1730 gegründete Pâtissier Stohrer in der Rue Montorgueil oder der erfolgreiche, seit 2011 selbstständige Pâtissier Sébastien Gaudard in der Rue des Martyrs setzen auf Gold. Soll das Gold auch abgrenzen und Extravaganz signalisieren, und damit zugleich, dass die hier angebotenen Produkte nicht für alle gedacht (und erschwinglich) sind? Im Falle des Fachgeschäfts für Küchenequipment Bovida läge dann die Vermutung nahe, dass hier eher Messing den Akzent setzt… oder einfach die Farbwirkung auf Dunkelgrün gefiel.
Üppig oder sparsam? In Gold gestaltete Schrift wirkt am strahlendsten vor dunklen Hintergründen, um den größtmöglichen Kontrast zu erzeugen. Den Effekt machten sich vor allem die Läden zunutze, die ihre Fassaden mit Hinterglasmalerei ausstatteten – wie die schon 1761 gegründete Chocolaterie und Confiserie »A la Mère de Famille«. Weitere Beispiele sind die ehemalige Korkenmanufaktur »Fabrique de bouchons« im Stadtteil Batignolles, das Olivenöl- und Feinkostgeschäft Maison Bremond in Saint-Germain (Epicerie Fine), die Bäckerei Moulin de la Vierge (unter anderem im 7. Arrondissement) und die – wie passend – »orfèvrerie« (Goldschmiede), in deren Ladengeschäft ein Jeanshersteller einzog. Emile Zola (1840–1902) beschreibt in seinem Roman »Der Bauch von Paris« das Ladenschild einer Metzgerei: »Auf dem Firmenschilde leuchtete der Name Quenu-Gradelle in fetten Goldbuchstaben, von einem Rahmen aus Blätterwerk umgeben, auf zartem Grunde gemalt, das Ganze mit einer Glastafel überdeckt. Die beiden Seitentafeln der Auslage, gleichfalls gemalt und unter Glas, zeigten kleine pausbäckige Liebesgötter, die mitten unter den Schweinsköpfen, Koteletten und Wurststrängen spielten; und diese von Schnörkeln und Rosetten umgebenen Abbildungen hatten einen solchen zarten Aquarellton, daß das rohe Fleisch die rosige Farbe der Konfitüren gewann.« Wie der Rocher de Cancale im Sentier-Viertel, Le Servan im 12. Arrondissement und das Hotel Regina direkt gegenüber dem Louvre lassen es auch viele andere Restaurants und Hotels gern mal funkeln (weitere Beispiele im Beitrag zur Typografie von Café). Übrigens: Mit weiterem Gold an der renovierten Fassade erinnert das Rocher de Cancale auch daran, dass in Frankreich golden eingefärbter Stuck auf eine lange Tradition blickt. Bei feinen, filigranen Schriften fällt der Edelmetalleffekt weniger auf, das zeigen etwa das Hotel und der Champagner-Spezialist – ins Protzige soll die Wirkung nicht umkippen.
Typografie überall! Eine ganze Schriften- und Schilderwelt tut sich für alle die auf, die die Augen offen halten. Schriftzüge und Buchstaben sind allgegenwärtig und prägen Orte auf subtile und doch eindrückliche Weise. Wer durch Frankreichs Städte oder Dörfer streift, wandert durch Jahrhunderte des geschriebenen Worts. In den Straßen, auf Verkehrsmitteln, Ladenschildern, den Fassaden von Cafés und Restaurants, auf Mauern und Werbeplakaten: Jede Stadt hat ihre ganz eigene urbane Typografie. Selbst in Metropolen wie Paris, wo klassizistische Gemäuer auf immer mehr reflektierende Glasfassaden treffen, vermischen sich verblasste oder verwitterte Schriftzüge, Mosaikschriften, Leuchtreklamen mit Kultstatus, historische Stadttypografie, traditionelle Restaurant- und Ladeninschriften mit urbaner Streetart und Graffiti, Neon-Zeichen und Werbeplakaten, modernen Markensignets und Leitsystemen zur Orientierung oder Texttafeln. Die Typografie im Stadtbild spiegelt die Geschichte Frankreichs auf eine ganz eigene Art wider und vereint dabei nostalgischen Retro-Charme mit stetem Wandel. Jeder Schriftzug erzählt dabei eine Geschichte, lässt Epochen und Moden erkennen. Leider immer seltener: Durch das Verschwinden älterer Buchstaben und Beschilderungen aus dem Stadtraum gehen auch Erinnerungen verloren… Schriftzüge verschwinden nicht nur aus dem Blick, sondern auch aus unserem Bewusstsein. Und durch den wirtschaftlichen Erfolg internationaler Konzerne und Ketten sind leider in immer mehr Städten nur dieselben Schriftzüge und Logos zu sehen.