TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: FRANKREICHS VERSALIEN

Nationale Schriftkultur? In den Straßen, auf Fassaden und Verkehrsmitteln, auf Ladenschildern, Leuchtreklamen und Graffiti, Leitsystemen und Verkehrsschildern: Schrift am Bau und im öffentlichen Raum belebt nicht nur das Straßenbild, sondern prägt ganze Städte – eine ganze Schriften- und Schilderwelt tut sich für alle die auf, die die Augen offen halten. Ich habe hier schon Blogbeiträge zu Leuchtreklame, Mosaikschriften, alten Werbe-Schriftzügen als Ghostsigns, Ladenschildern, Trottoir-Typografie, Typokalligrafie und mehr in Frankreich und insbesondere zu den typografischen Spuren urbaner Identität in Paris veröffentlicht. Hier geht es darum, ob es bei der Schriftkultur im öffentlichen Raum von Land zu Land tatsächlich Unterschiede gibt.

Auf die Größe kommt es an: In seiner Diplomarbeit »French Delice« hat Fritz Grögel festgestellt, dass Kleinbuchstaben für Ladeninschriften im Straßenbild Frankreichs fast gar keine Rolle spielen, während sie in Deutschland zu allen Zeiten und in vielen Rollen Verwendung finden. Von den rund zwei Dutzend zufällig ausgewählten Bäckereien aus ländlichen Orten wie aus Großstädten in Frankreich entschieden sich fast alle für die konsequente Großschreibung. Den öffentlichen Raum prägen Versalien in allen erdenklichen Formen – mit oder ohne Serifen, als Schattenschrift, mit Farbe aufgemalt, aus Holz oder Metall. Nur zwei Bäckereien wählen »Boulangerie« statt »BOULANGERIE«, eines der letzten in der Fotoserie setzt auf eine merkwürdig inkonsequente Mischform. Der Schriftzug im allerletzten Foto, nur Großbuchstaben, gefällt mir als Sammlerin von Gs vor allem wegen dessen unorthodoxer Gestaltung… Und mein großes, in Paris gekauftes »OUI« aus Metallbuchstaben, stammt angeblich ebenfalls von einer B..LANGER.E.

Großbuchstaben, Versalien, Majuskel: Der große Unterschied zwischen Schrift im gedruckten Buch und Schrift im öffentlichen Raum besteht darin, dass es einmal um Lesbarkeit, das andere mal um Sichtbarkeit geht. Für Überschriften, Schilder, Firmennamen, Markenlogos und Inschriften kommen häufig Großbuchstaben, in der Wissenschaft Majuskeln genannt, zum Einsatz. Mit Versalien waren ursprünglich nur die ausgeschmückten Zierinitialen von Verszeilen oder Textanfängen gemeint, als Fachausdruck der Drucker und Schriftsetzer bezeichnen sie heute auch generell Großbuchstaben. Eine ausschließlich aus Großbuchstaben bestehende Schrift wird in der Typografie Majuskelschrift oder Versalschrift genannt. In den sozialen Medien, Internetforen und Chats gilt das Schreiben in Großbuchstaben als lautes Herumschreien – und als grob unhöflich im Rahmen der Netiquette, kann aber auch als bewusstes »Lautwerden« dienen. In der Regel haben Großbuchstaben alle die gleiche Höhe. Das höhere Anfangs-B bei zwei Beispielen zeigt eine weitere Variante – als Kapitälchen bezeichnet man Großbuchstaben mit geringerer Höhe.

Frankreich Typo Versalien

Frankreich Typo Versalien

Frankreich Typo Versalien

Typo Paris Boulangerie

Paris Typo Versalien

Frankreich Typo Versalien

Boulangerie mit G

© Gabriele Kalmbach