KULINARISCHE LITERATOUR: E.T.A. HOFFMANN ÜBER SALAT

Mit einem lauten: »Ach!« blieb Fräulein Ännchen wie in den Boden gewurzelt stehen, als die Vorhänge des Einganges aufrollten und sich ihr die Aussicht eines unabsehbaren Gemüsegartens erschloß von solcher Herrlichkeit, wie sie auch in den schönsten Träumen von blühendem Kohl und Kraut, keinen jemals erblickt. Da grünte und blühte alles, was nur Kraut und Kohl und Rübe und Salat und Erbse und Bohne heißen mag, in funkelndem Schimmer und solcher Pracht, daß es gar nicht zu sagen. – Die Musik und Pfeifen und Trommeln und Zimbeln ertönte stärker und die vier artigen Herrn, die Fräulein Ännchen schon kennen gelernt, nämlich der Herr von Schwarzrettig, der Monsieur de Roccambolle, der Signor di Broccoli und der Pan Kapustowicz, nahten sich unter vielen zeremoniösen Bücklingen.

 

Fantasiestücke: E.T.A. Hoffmann, im Januar 1776 in Königsberg geboren, starb im Juni des Jahres 1822, vor fast genau 200 Jahren. Ein rundes Datum, das im Feuilleton viele zum Anlass nahmen, an den Schriftsteller und studierten Juristen zu erinnern, der vielseitig begabt auch als Komponist, Maler und Kritiker tätig war. Das Fantastische, das so typisch für seine Werke ist, fand erst nach seinem Tod ein wachsendes Publikum. Dem Zeitgeschmack lagen die Märchen und Satiren, das Absurde und Abgründige nicht. Seiner Zeit voraus war Hoffmann nicht nur mit dem Einbruch des Irrationalen in die Erzählkunst, sondern auch mit neuen Genres wie der Kriminalerzählung und fast postmodernen Schreibweisen. Obwohl uns nun schon mehr als zwei Jahrhunderte von dem Zeitpunkt ihres Drucks trennen, haben die Erzählungen keinen Staub angesetzt.

Lust am Unsinn: Anna von Zabelthau, ein »junges rotwangichts Mädchen« mit blauen Augen und blonden Haar, verfügt über »gar keine unebenen Kenntnisse«, was die Landwirtschaft betrifft. Dem Besucher zeigt sie den Küchengarten, den sie selbst bestellt, und spricht dabei von »bunter Plümage, Rapuntika, englischem Turneps, kleinem Grünkopf, Montrue, großem Mogul, gelbem Prinzenkopf« und mehr, zum Erstaunen des Erzählers ist mit all den »vornehmen Namen« nicht anderes gemeint »als Kohl und Salat«. Fräulein Ännchen mag auch die Nutztiere und den Obstbau, an erster Stelle kommt aber der Gemüsegarten, wo sie »einen tüchtigen Spaten« führt. Als der Möhrenkönig Porphyrio von Ockerodastes alias Daucus Carota um sie wirbt, ist in seinem Seidenpalast auch sein grotesker Hofstaat versammelt, Salatprinzen und Bohnenprinzessinnen, Gurkenherzöge und Melonenfürsten, Kopfkohlminister, die Zwiebel- und Rübengeneralität, Federkohldamen und Fenchelpagen. Und parallel zum Jubel des Volkes und Salutschüssen spielen »die Musiker der Karottengarde das bekannte Festlied: Salat-Salat und Petersilie.« Leider ist die ganze Gemüseherrlichkeit eine einzige große Täuschung.

Ein nach der Natur entworfenes Märchen: So beschreibt der Untertitel die Binnenerzählung »Die Königsbraut«, die die Novellensammlung der »Serapionsbrüder« beschließt. Es ist schon viel über das geheimnisvolle Ineinander von Alltäglichem und Wunderbaren, Vertrautem und Fremden, Realem und Phantastischem bei Hoffmann geschrieben worden, der es das »serapiontische Prinzip« nennt. Was als Poetologie sein ganzes Werk bestimmt, nicht nur die zwischen 1819 und 1821 erscheinenden vier Bände der »Serapionsbrüder«, hat die Literaturwissenschaft ausführlich beschäftigt. Mich interessiert gerade der prosaische Teil der »Natur«: der Gemüsegarten. Denn trotz aller humoristischen Lust des Autors am Sprach- und Wortspiel und an sprechenden Namen (der Pole Kapustowicz ist »Herr Kohlsohn«, Monsieur de Roccambolle »Herr von Schlangenknoblauch«) tragen gerade die Gartenpflanzen keine Fantasienamen: bunter Plümage (Brassica selenisia) ist ein grüner oder brauner krauser Kohl (Federkohl), turnip englisch für Steckrübe, die auch Rapuntika oder Rapunzel genannte Nachtkerze wurde früher als Wurzelgemüse angebaut, und Montrue, großer Mogul und gelber Prinzenkopf sind alte Blattsalatsorten (Lactuca sativa), später im Märchen kommt mit dem »gelben Steinkopf« noch ein junger Kopfsalat dazu.

Gartensalat: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein breites Spektrum von Salatsorten kultiviert – rund 65 Sorten in Mitteleuropa, die sich in Größe, Anbausaison, Blatt- und Samenfarbe, Form und Geschmack unterschieden. Noch der Brockhaus von 1902–1910 kennt als »Gartensalat« oder »Lattich« den gelben und grünen Steinkopf – »zum Treiben im Mistbeet« – wie auch den gelben Prinzenkopf und weitere Sorten mit klingenden Namen. Um 1930 soll es sogar über 200 Salatsorten gegeben haben. Im 20. Jahrhundert ist die Vielfalt an landwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Arten deutlich zurückgegangen, vor allem durch die »Sortenbereinigung« (Saatgut-Verordnung) ab 1934 und aufgrund der Züchtung neuer Hochleistungssorten. Dieser Verlust an Biodiversität gefährdet die genetische Vielfalt unserer Kulturpflanzen. Auch um darauf aufmerksam zu machen, hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) die Rote Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland erstellt, die als gefährdete Salatsorten unter anderem »Blauen Lattich«, Stängel- und Hirschhornsalat nennt.

 

Weiterlesen über Salat in der Literatur:

in Grimms Märchen bei Jean de La Fontaine bei Erich Mühsam bei Marcel Proust bei François Rabelais bei Kurt Tucholsky bei Emile Zola

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