KULINARISCHE LITERATOUR: KARL KRAUS ÜBER SALAT

Ich weiß nicht, was das ist, aber seitdem ich statt einer Potage à la Colbert eine »Suppe mit Wurzelwerk und verlorenem Ei«, statt Irish stew »Hammelfleisch im Topf auf bürgerliche Art«, ein »Mischgericht« statt eines Ragout, keinen Vol-au-vent, sondern eine »Blätterteighohlpastete« und dazu nicht Mixed pickles, sondern im Gegenteil »Scharfes Allerlei« zu essen bekomme, und wenn mir ein Appetitbrot genügte, »Reizbrot, Leckerschnitte«, statt einer Sauce tartare »Tartaren-Tunke (Soß)«, statt einer Sauce Mayonnaise »Eieröltunke (Soß)«, statt Sardellensauce »Sardellentunke« oder »Sardellensose«, wobei der Patriot ohnehin schon ein Auge zudrückt, statt eines garnierten Rindfleisches entweder ein »Rindfleisch umlegt (mit Beilagen)« oder mit »Gemüse-Randbeilagen (Umkränzung)«, statt Pommes à la maitre d’hotel »Erdäpfel nach Haushofmeister-Art« und ein »Rumpfstück«, ein »Beiried-Doppelstück«, ein »Rinds-Lenden-Doppelstück« oder ein »blutiges Zwischenstück«, entweder »mit Teufelstunke« oder »mit Bearner Tunke«, wobei das unübersetzbare Bearner schwer verdaulich ist, oder gar »auf Bordelaiser Art«, unter der ich mir nichts vorstellen kann, während ich einst doch wußte, wie das Leben à la Bordelaise beschaffen war, seitdem ein »Erdäpfelmus-Brei, frisch gemacht«, ein »Blumenkohl mit holländischer Tunke (Sos)« oder mit »Holländersose« oder ebenderselbe »überkrustet« auf den Tisch kommt, seitdem es, ach, »Volksgartenlendenschnitten« gibt. [,] »Schnee-Eierkuchen mit Obstmus«, die Maccaroni verständlicher Weise »Treubruchnudeln« heißen, der Russische Salat aber »Nordischer Salat« und zwischen einem Wälischen und einem Welschen Salat zu unterscheiden ist, welch letzterer auch »Schurkensalat« genannt wird, seitdem für »zwei verlorene Eier« nur ein ehrlicher Finder gesucht wird und mir zum Nachtisch »Näschereien« geboten werden, sei es »ein Päckchen Knusperchen« oder »Kecks« oder gar eine »Krem« oder – – Hilfe? – ein »Hofratskäschen« statt eines Romadour, – seitdem, ich weiß nicht, wie das kommt, ist halt alles so teuer geworden! Ja, ich versteh nicht, warum diese deutschen Übersetzungen und die dazu notwendigen Erklärungen auf Französisch und Deutsch gar so kostspielig sind!

Karl Kraus Aphorismen: 1915

(https://www.projekt-gutenberg.org/kraus/aphorism/chap008.html).

 

 

Dem Journalisten und Satiriker Karl Kraus (1874–1936), mehr als drei Jahrzehnte Herausgeber der 1899 von ihm gegründeten Zeitschrift »Die Fackel«, waren »Sprachverdreher« zeit seines Lebens ein Dorn im Auge. Seine letzten Lebensjahre widmete er der Vorbereitung einer Sprachlehre, die 1937 posthum erschien. In seiner scharfzüngigen Kritik an den Eindeutschungen von Speisenamen aus dem Jahr 1915 erscheint der nationalistische Hintergrund am deutlichsten bei den »Treubruchnudeln« und beim Salat, denn der »Russische Salat« wird ein »Nordischer Salat«, der »Welsche Salat« sogar zum »Schurkensalat«.

Nationalistische Umbenennungen: Zwar gab es in Deutschland schon seit der ersten deutschen Bibelübersetzung Martin Luthers immer wieder Bestrebungen zur »Reinhaltung« der Sprache und zur Vermeidung von Fremdwörtern. Doch mit der deutschen Reichsgründung 1871 erhob man die Muttersprache zum Symbol der neuen Einheit und machte die Eindeutschung von Fremdwörtern zur nationalen Pflicht. Dass das Deutsche seit jeher Fremd- und Lehnwörter aufgenommen hatte und dies die Ausdrucksmöglichkeiten vermehrte, war im Rahmen patriotischer Begeisterung kein Sprachkonzept. Im nationalen Überschwang des Ersten Weltkriegs erreichten die Eindeutschungsversuche denn auch ihren Höhepunkt: »Wer jetzt patriotisch ist, der muss entwelschen«, forderte Otto Sarrazin, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins.

Vaterland und Muttersprache: Der Kampf gegen die »Fremdwörterseuche« hielt Einzug in nahezu sämtliche Lebensbereiche, in Verwaltung, Presse und Justiz, bei der Eisenbahn und bei der Post tilgte man die fremdländischen Ausdrücke nun mit System. Die Reinheit der Sprache fördere das nationale Bewusstsein – wer das Vaterland liebe, müsse auch die Muttersprache gegen die Feinde des Reichs verteidigen. Manche Eindeutschungen dieser Zeit waren erfolgreich, vorangetrieben vom Allgemeinen Deutschen Sprachverein wurde aus dem Coupé ein Zugabteil und aus Couvert der Briefumschlag – Begriffe, die wir heute noch benutzen. Andere ungelenke Neuschöpfungen wirken heute kurios und setzten sich nicht durch – aus Telegramm wurde kein Drahtgruß, aus Zigarre nicht Rauchrolle, aus dem Jongleur kein Wurf-Fang-Künstler. Mehr von den selbsternannten Fremdwortjägern des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins erzählt der Germanist Karl-Heinz Göttert in seinem Buch »Die Sprachreiniger: Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus« (Propyläen Verlag, Berlin 2019).

A table! In Deutschland bemühte sich der 1885 gegründete Verein um eine mit besonders aggressivem Nationalismus gepaarte Sprachpflege und gab eigens Wörterbücher der Synonyme zur systematischen Verdeutschung alltäglicher Begriffe heraus. So auch die 1915 in »5. und 6. erweiterter Auflage« erschienene »Deutsche Speisekarte: Verdeutschung der in der Küche und im Gasthofswesen gebräuchlichen entbehrlichen Fremdwörter« (https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/structure/6511141). Die gerade in »Gasthofs- und Küchensprache« gebräuchliche »Fremdwörterei« ärgerte die Sprachreiniger ungemein, erläutert in aller Ausführlichkeit mit Dutzenden Beispielen die Einleitung des Bändchens. Besonders breit mache sich das vorwiegend französische Unwesen auf Speisekarten. Gegen die »Verwelschung unserer Küchensprache« empöre sich »deutscher Sinn«: Statt Omelette solle es Eierkuchen heißen, Purée durch Mus oder Brei, Bouillon durch Brühe, Dessert durch Nachtisch ersetzt werden. Das dürfte bekannt vorkommen, weniger Erfolg war dagegen den Vorschlägen beschieden, die Aubergine zum Eierapfel zu machen, die Bombe zum Füllgefrorenen, den Cognac zum Franzbranntwein, das Gelée zum Gallert, die Konserve zur Dauerspeise, die Margarine zur Kunstbutter, das Ragout zum Mischgericht – wie es schon Karl Kraus aufstieß. Doch in weiten Teilen liest sich das Wörterbuch heute wie eine Erläuterung zur Fachsprache der Hochküche.

 

Weiterlesen über Salat in der Literatur:

in Grimms Märchen bei E.T.A. Hoffmann bei Jean de La Fontaine bei Heinrich Mann bei Erich Mühsam bei Marcel Proust bei François Rabelais bei Kurt Tucholsky bei Emile Zola.