STEPHAN KRASS: DIE SPUR DER BUCHSTABEN

Mein Lieblingsbuchstabe ist das Q: Unter diesem Titel war im Mainzer Gutenberg-Museum dem Drucker und Verleger Gerhard Steidl im Herbst 2020 eine Ausstellung gewidmet. Zu sehen war dort, dass die sogenannte Cauda, der Schweif des Großbuchstabens, die Schriftgestalter zu unzähligen Varianten inspiriert hat. Dabei ist das Q »mit einem Häufigkeitsquotienten von 0,02 Prozent der am wenigsten gebräuchliche Buchstabe in der deutschen Sprache« (Quadrat). Dass Steidl sorgfältig auf die typografische Qualität seiner Druckerzeugnisse achtet, ist bekannt. Nun hat er das Buch eines Autors veröffentlicht, der sich gefragt hat, was Buchstaben alles können, außer Sinn zu produzieren.

Von A bis Z: Sein Anliegen war es, so Stephan Krass, die Buchstaben zum Hauptakteur der Kapitel zu machen. Da ist der Einstieg mit »Alphabet« nur konsequent, auch wenn Anagramm ebenso nahe gelegen hätte. Denn der frühere Rundfunkredakteur beim SWR hat sich als literarischer Autor mit dieser Form der Buchstabenumstellung beschäftigt. Für »lexikografische Schreibweisen« habe ich an anderer Stelle einige Beispiele vorgestellt, zu denken wäre auch an die Historikerin Ute Frevert und »Mächtige Gefühle« oder Thea Dorn und Richard Wagner über »Die deutsche Seele«, die ihre Textabschnitte wie Lexikonartikel alphabetisch anordnen. Wie fast alle Autoren, die dieses Verfahren wählen, lädt Krass zu Streifzügen ein statt zu linearer Lektüre – man soll und kann im »Textparcours« umherspringen, eigenen Interessen folgend oder den Verweisen im Buch. Ich habe also den Einstieg über Typographie, Übersetzung, Passwort, Buch und Quadrat gewählt.

Buchstabensalat und Lautpoesie: Krass ist den Buchstaben auf der Spur, vornehmlich kommen bei ihm – als Literaturwissenschaftler und als Autor, den sein Material interessiert – Poetik und Literatur ins Spiel, da geht es um Lesarten, Mehrdeutigkeiten, experimentelles Arbeiten und eben ums Übersetzen, bei dem schnell klar wird: »Ein Satz ist mehr als die Summe seiner Wörter« (Übersetzen). Er selbst könnte das Buch gleich nochmal schreiben, sagte er im Interview bei hr2-kultur (22. März 2022), dann ginge es beispielsweise mit Album, Bibliothek (oder mit Blaupause wie auf dem Cover), Chiffre los, mit anderen Anekdoten und Geschichten aus seinem Fundus eines Autors, der sich schon ein Leben lang mit Buchstaben beschäftigt. Dank ihrer Kürze wecken die essayistischen Texte Entdeckerfreude, auf Unsinnspoesie und Palindrome, Lyrik und Listen, Notizzettel und Typoskripte.

Ypsilon, Vogel-V und der Faktor X: In der Grundschule habe ich noch mit Vogel-V und Fenster-F schreiben gelernt, beiden dann lange keine Aufmerksamkeit gewidmet. Jetzt fotografiere ich Buchstaben im öffentlichen Raum, fasziniert von Mosaikkunst und Street-Art, Umlauten und Versalien, Leuchtschrift, Holzlettern und Goldglanz. »Den Buchstaben sind die Inhalte, die sie transportieren, völlig egal. Ob Salat oder Atlas, ob Wörterbuch oder Wortbrüche, […] die Lettern scheren sich nicht um die Bedeutungsfelder, die sie beackern.« (Medium). Dieses Buch hat mich auf die Spur der poetologischen Aspekte von Buchstaben gesetzt, vielleicht fange ich mit Anagrammen vom Autor einfach mal an…

 

Alle Zitate aus:

Stephan Krass, Die Spur der Buchstaben. Alphabet Blaupause Code, Steidl Verlag, Göttingen 2021

Paris Grossbuchstabe Q