TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: STREET-ART DER BRÜDER TOQUÉ IN PARIS
Bitte lächeln: Fast alle Pariser haben wahrscheinlich schon mal im Vorübergehen ein Wandbild mit auffallendem Schriftzug gesehen, signiert von den Toqué Frères – und unwillkürlich gelächelt. Tatsächlich wollen die beiden Street-Art-Künstler, zwei Brüder aus Nantes, mit ihren Feel-Good-Botschaften den »grauen« Alltag verschönern, und zu ihren Fans gehören auch Anwohner, die Graffiti und Murals sonst eher als Schmierereien ablehnen. Das Duo, das sich selbst als »embellisseurs de villes«, als Stadtverschönerer versteht, verteilt seine positiven Botschaften über ganz Paris, »beschreibt« metallene Rolläden, vernachlässigte Wände und die Schaufenster verlassener Ladenlokale. Die Kombination von Optimismus, Romantik und Poesie der Brüder Félix und Marin kommt so gut an, dass sie inzwischen zahlreiche Auftragsarbeiten übernehmen. Beispielsweise für den Blumenladen Lily of the Valley in der Rue Lepic, dessen Rolladen nun der Spruch »Au delà du rideau fleurent des parfums en couleurs« ziert, oder für den Anwohnerkiosk auf der Place Gambetta (»L’un pour l’autre«).
Kalligraffiti: Und tatsächlich könnte man sich ihre aufmunternde Schriftmalerei auch gut als erfolgreich vertriebene Poster und Postkarten vorstellen – solche Typoposter, Handletterings oder Wandtattoos mit »message« sind ja gerade sehr en vogue. Da passen die beiden Street-Art-Künstler mit ihrer ornamentalen Schönschreib-Kunst gut dazu. Unter den Straßenkünstlern, die eher mit Typo als mit Bildern arbeiten und sich von der Ästhetik der Buchstaben faszinieren lassen, bevorzugen einige Kollegen eine Art »Gothic«-Kalligrafie, etwa der Niederländer Niels Shoe Meulman. Die Australierin Gemma O’Brien dagegen legt sich nicht auf eine Typo fest, bevorzugt aber Schwarz-Weiß-Kontraste. Ihre Londoner Kollegin Lakwena wiederum passt serifenlose Versalien in knallbunte geometrische Hintergründe ein, der Franzose mit tunesischen Wurzeln El Seed kombiniert Graffiti und arabische Kalligrafie (eins seiner Werke ist in Paris an einer Fassade des Institut du Monde Arabe zu sehen), der Kalifornier Retna hat gleich sein eigenes rätselhaftes Alphabet geschaffen. Ein Stilmerkmal für den besonderen Look der Toqué-Brüder ist ihr illustrativer Umgang mit Schrift – zum einen die betonten Schreibschrift-Schnörkel und -Schwünge einzelner Buchstaben, zum anderen die Bevorzugung von (dekorativer) schattierter oder doppelt konturierter Schrift. Zum verbalen Zierat passt eben auch der typografische…
Typografie überall! Eine ganze Schriften- und Schilderwelt tut sich für alle die auf, die die Augen offen halten. Schriftzüge und Buchstaben sind allgegenwärtig und prägen Orte auf subtile und doch eindrückliche Weise. Wer durch Frankreichs Städte oder Dörfer streift, wandert durch Jahrhunderte des geschriebenen Worts. In den Straßen, auf Verkehrsmitteln, Ladenschildern, den Fassaden von Cafés und Restaurants, auf Mauern und Werbeplakaten: Jede Stadt hat ihre ganz eigene urbane Typografie. Selbst in Metropolen wie Paris, wo klassizistische Gemäuer auf immer mehr reflektierende Glasfassaden treffen, vermischen sich verblasste oder verwitterte Schriftzüge, Leuchtreklamen mit Kultstatus und Mosaikschriften, historische Stadttypografie, traditionelle Restaurant- und Ladeninschriften mit urbaner Streetart und Graffiti, Neon-Zeichen und Werbeplakaten, modernen Markensignets und Leitsystemen zur Orientierung oder Texttafeln. Die Typografie im Stadtbild spiegelt die Geschichte Frankreichs auf eine ganz eigene Art wider und vereint dabei nostalgischen Retro-Charme mit stetem Wandel. Jeder Schriftzug erzählt dabei eine Geschichte, lässt Epochen und Moden erkennen. Leider immer seltener: Durch das Verschwinden älterer Buchstaben und Beschilderungen aus dem Stadtraum gehen auch Erinnerungen verloren… Schriftzüge verschwinden nicht nur aus dem Blick, sondern auch aus unserem Bewusstsein. Und durch den wirtschaftlichen Erfolg internationaler Konzerne und Ketten sind leider in immer mehr Städten nur dieselben Schriftzüge und Logos zu sehen.
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