HORTENSIEN IN DER BRETAGNE
Weiß, violett, rosa: Üppige Hortensien gehören zur Bretagne wie Cidre, Crêpes und Galettes, die Streifenpullis oder Straßenschilder auf Bretonisch. Vor den Granitmauern traditioneller Häuser oder Kirchen sorgen blühende Hortensien für farbige Tupfer und bilden einen hübschen Kontrast zum Schiefer- oder Grüngrau der alten Mauern. Die zarten Blütenbälle leuchten in fast jedem Garten in der Bretagne – das Beitragsaufmacherfoto zeigt den Gartenzaun unseres Nachbarn gegenüber, aber ich hätte es auch überall sonst aufnehmen können. Mancherorts wuchern sie geradezu als blühende grüne Wälle. In Deutschland galten sie eine Zeitlang als altmodisch, feiern aber gerade ein triumphales Comeback – in der Bretagne gehören die klassischen Garten- oder Bauernhortensien einfach zum Landschaftsbild. Insgesamt umfasst die große Pflanzenfamilie aber um die 80 Arten und unzählige Sorten, darunter auch Exemplare mit rispen-, stern- oder tellerförmigen Blüten, zwei- oder dreifarbige Pflanzen und sogar eine kletternde Variante. An der spektakulären weißen Schneeballhortensie mit bis zu 25 Zentimeter großen Dolden aus hauchzarten Blüten finden sogar Minimalisten Gefallen. Direkte Sonneneinstrahlung ist für die Pflanze ungünstig, die Sträucher bevorzugen einen (windgeschützten) Standort im Halbschatten. Hortensien benötigen viel Wasser und gedeihen besonders gut in feuchtem Klima. Seit ich mich um neu gepflanzte Pflänzchen kümmere, weiß ich, dass sie extrem durstig sind. Im Sommer brauchen sie zum Anwachsen einmal, an trockenen Tagen sograr zweimal täglich Wasser.
Geballte Farbenpracht: Meer, Strand und Palmen finden Urlauber nicht nur in der Karibik oder am Mittelmeer, auch in der Bretagne wachsen Palmen und im Frühjahr blühen prächtige Kamelien. Naturfreunde dürfen sich auch an Mimosen, Oleander, Afrikanischen Schmucklilien (Agapanthus), Agaven und Feigen erfreuen, mal ganz abgesehen von den wild wuchernden Blütenpflanzen wie Spornblumen. Möglich macht diese mediterrane Vielfalt der Golfstrom. Er beschert der Bretagne milde Winter und kühle Sommer und sorgt dafür, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur an der Küste 5 bis 8 °C höher liegt als anderswo auf derselben geografischen Breite. In den Wintermonaten sinken die Temperaturen in der Bretagne selten unter den Nullpunkt, sodass auch frostempfindliche Pflanzen gedeihen, während im Sommer das Klima auch dann noch angenehm ist, wenn Südfrankreich von Hitzewellen geplagt wird. Die Bedingungen sind also ideal, vor allem im Finistère.
Villes et villages fleuris: Neben Geranienkästen, Blumenbeeten und anderen Bepflanzungen prägen in der Bretagne Hortensien auch das Bild der »blühenden Städte und Dörfer«. Der gemeinnützige Verein »Conseil national des villes et villages fleuris« (CNVVF) vergibt das Siegel, mit dem die Orte sich zusätzlich zur Blumenpracht schmücken dürfen (vergleichbar zum Wettbewerb der »plus beaux villages«). In Finistère und Côtes d’Armor tragen zum Beispiel Brest, Morlaix und Lannion das Siegel. Etwa zur Hälfte werden Grünanlagen für die Auszeichnung berücksichtigt, zur anderen weitere Bemühungen zur Verbesserung des Umfelds und der touristischen Attraktivität.
Sommer 2022: Nachtrag: Frankreich erlebt gerade eine beispiellose Dürre. In 93 der 96 französischen Départements sind Einschränkungen für den Wasserverbrauch nötig, zwei Drittel melden »Krise« und verbieten das Wässern von Rasen, Auffüllen von Pools, Waschen von Autos und mehr. In der Bretagne (anders als an der Côte d’Azur, wie Annika Joeres in der ZEIT berichtet) halten sich die Gartenbesitzer überwiegend daran. Traurig, aber wahr: Die »saufsüchtigen« Hortensien halten den Trockenheitsstress nicht aus (siehe die aktuellen vier Fotos ganz am Ende). Zu Recht veröffentlichen Verlage jetzt Gartenbücher mit Titeln wie »Garten ohne Gießen«, »Wächst fast ohne Wasser«, »Gärtnern im Klimawandel«, die »trockenheitstolerante« Pflanzen vorstellen. Hortensien würde ich nicht nochmal pflanzen, sie verdursten und verbrennen gerade.