24 STUNDEN IN CHARTRES
Die Kathedrale: Ganze 15 Seiten sind Notre-Dame in Chartres im DuMont-Kunstreiseführer »Frankreichs gotische Kathedralen« gewidmet. Ganz so viel werden es hier nicht, unerwähnt soll das Meisterwerk gotischer Architektur aber auch nicht bleiben, das zu den schönsten Baudenkmälern ganz Frankreichs zählt. Die 130 Meter lange Kathedrale aus dem 12. und 13. Jahrhundert hinterlässt wohl bei jedem einen großen Eindruck, mit ihrer Westfassade, dem Königsportal, der prachtvollen Rosette darüber und den ungleichen Türmen, mit zwei weiteren Dreifachportalen an Süd- und Nordquerhaus, im Innern mit um die 180 phantastischen Buntglasfenstern. Der 105 Meter hohe Clocher Vieux stammt aus der Zeit vor einem verheerenden Stadtbrand im Jahr 1194 und gilt als der höchste erhaltene romanische Kirchturm der Welt. So viel gibt es zu sehen, dass als Besonderheit nur die mittelalterliche Glasmalerei erwähnt sei: Notre-Dame ist für das leuchtende Blau ihrer Kirchenfenster berühmt, die größtenteils original erhalten sind. Das »bleu de Chartres« zeichnet sich nicht nur durch seine strahlende Farbwirkung aus, sondern leuchtet auch mit ungewöhnlicher Wärme, weil es einen hohen Anteil langwelligen roten Lichts passieren lässt. Im Boden des Mittelschiffs ist ein kreisförmiges Labyrinth markiert, das die Pilger als 261,5 Meter langen Weg zurücklegten – wichtigste Reliquie in Chartres ist der »Schleier der Jungfrau«. Über der Kathedrale, die zum Unesco-Welterbe zählt, sollte man jedoch die anderen Kirchen nicht vergessen, auch Saint-Aignan, Saint-André und Saint-Pierre lohnen Abstecher.
Fachwerk: Die hübsche Altstadt zieht sich teils über Treppen und abschüssige Straßen zur Unterstadt an der Eure hinunter, wo das Flüsschen von Waschhäusern, umfunktionierten Mühlen und Gerberhäusern gesäumt ist. Schön restauriertes Fachwerk (pan de bois) zeigen die Beispiele der um 1500 erbauten Maison du Saumon, in der das Office de Tourisme residiert, der Grenier de Loëns unweit der Kathedrale sowie weitere Häuser und der Treppenturm (Escalier de la Reine Berthe) in der Rue des Ecuyers. In entgegengesetzter westlicher Richtung öffnen sich immer wieder hübsche Plätze zwischen den Einkaufssträßchen. Angesichts der kunterbunten Bebauung in der denkmalgeschützten Altstadt fragt man sich, was sich noch für mittelalterliche Fachwerkschätze hinter vielen verputzten Fassaden verstecken, bedauert, dass die bildschöne Maison de la Voûte, ein Salzspeicher aus dem 12. Jahrhundert, von einer Textilkette genutzt wird, und entdeckt Mosaik-, Kachel- und Art-Déco-Schätze genauso wie die »Kunst der Bausünde«.
Street-Art: Der Pariser Künstler Jérôme Mesnager war mit seinem »homme en blanc« da, die Sprayerin La Dactylo auch und der mir unbekannte Puppenkopfkleber aus Lyon. Im Zentrum von Chartres ist in der Rue du Maréchal de Lattre de Tassigny eine imposante Wandmalerei von 170 m2 ganz offiziell angebracht: 300 Liter Farbe soll die aus Lyon bekannte Künstlergruppe CitéCréation für »Chartres en scène« verpinselt haben. Im Mural wird der 1769 in Chartres geborene General Marceau Teil einer Filmszene, als Trompe l’oeil sind Fenster und weitere Details gestaltet.
Gut essen? Schon zum zweiten Mal habe ich in Chartres unterirdisch schlecht gegegessen, einmal an der schönen Markthalle, einmal an der Kathedrale. Dabei hatte ich einen Tisch in der Moulin de Ponceau reserviert, einer alten Mühle mit schöner Terrasse und feiner französischer Küche und mich auf das vegetarische Menü gefreut. Doch ich konnte nur an der verschlossenen Tür rütteln. Am frühen Nachmittag, während ich im Auto längst unterwegs war, hatte man mir offensichtlich per Mail abgesagt, vermutlich weil nicht genug Tische reserviert waren. Sehr ärgerlich, ich finde, wenn man freiwillig am Montag abends geöffnet hat und Dienstag und Mittwoch Ruhetag, sollte man damit rechnen, dass nicht jeder Montag voll ausgelastet ist.
Übernachten im »chambre d’hôte«: Höchst angenehm untergebracht war ich im Bed & Breakfast Le Parc Stanislas, zu Fuß unweit der Altstadt gelegen, einfach zu erreichen und mit Stellplatz für das Auto, auf Wunsch wird man auch vom Bahnhof abgeholt. Die Gastgeber vermieten drei modern ausgestattete Zimmer, teils mit Terrasse und Blick in den großen grünen Garten. Ich habe aufgrund der sehr ruhigen Lage und des guten Betts ausgezeichnet geschlafen, morgens gab es zum Frühstück das Baguette »vom besten Bäcker der Stadt« und frisches Obst.
Chartres en Lumières: Vermutlich noch ein bisschen Wutrauchwölkchen ausstoßend habe ich dann beim Bier im Comptoir de la Mairie den Sommerabend an der Place des Halles doch noch genossen. Die Temperaturen war mit 32 Grad ausgesprochen sommerlich, die »Chartraines« hatten alle schon ihre Trägerkleidchen aus dem Schrank geholt, der Mai brachte Frankreich neue Hitzerekorde ein. Und ab 22 Uhr kam dann das Highlight! Mein Herbergsgastgeber hatte mich gleich darauf hingewiesen – von April bis Oktober werden rund 20 markante Gebäude und Plätze der Stadt allabendlich spektakulär beleuchtet. Nicht nur die schöne Markthalle wird farbig in Szene gesetzt, sondern auch die romantischen Brücken über die Eure und viele weitere Orte. Ehrensache: Fantastischer Höhepunkt von »Chartres en Lumierès« ist die Illumination der Kathedrale.