24 STUNDEN IN SAINT-MALO
Ein Sonntag Anfang März: Gefühlt war es nach wochenlangem Dauerregen der erste schöne Tag im Jahr. Kein Wunder, dass die Sonne offensichtlich so gut wie alle Malouins, wie die Einwohner von Saint-Malo heißen, zum Spazierengehen an den endlosen Sandstrand und die Uferpromenade gelockt hatte. Dass es nicht wärmer als 11 Grad war, störte niemand, mich eingeschlossen. Ganze Völkerscharen waren unterwegs zwischen Fort National, das auf seinem kleinen Inselchen nur bei Ebbe zu erreichen ist, und Paramé … An dieser leicht gerundeten Flaniermeile östlich der Altstadt ziehen sich die Gründerzeitvillen und Hotels entlang – Seite an Seite eine Art Leistungsschau der Belle-Epoque- Bäderarchitektur. Sie lassen erkennen, dass die Côte d’Emeraude, die Smaragdküste, schon Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Reiseziel war. Das Grandhotel des Thermes, heute ein Zentrum für Thalassotherapie, war 1882 eines der ersten, das hier an der Grande Plage du Sillon eröffnete und Paramé zum mondänen Badeort wachsen ließ. Denn Saint-Malo war nicht ausschließlich Handels- und Hafenstadt und eine Hochburg der Korsaren!
Übernachten im Strandhotel: Höchst angenehm untergebracht war ich im Hotel Les Charmettes, in einer der »Malouinières«, wie die Gründerzeitvillen heißen. Vom Balkon meines Zimmers konnte ich den ganzen traumhaft langen Strand überblicken. Ich habe beim beruhigenden Rauschen des Meers eine geruhsame Nacht verbracht – einschläfernd regelmäßig rollen die Wellen heran. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt hier bis zu 14 Meter – der höchste Tidenhub Europas und der zweithöchste weltweit! Bei Springflut, wenn die Gezeitenkräfte besonders ausgeprägt sind, kann die Brandung dann meterhoch gegen die Kaimauern donnern. Die Lage des Hotels ist ruhig, das Frühstück gut, der Stellplatz für das Auto belastet mit 9 € das Reisebudget nur moderat, die Zimmer ohne den grandiosen Meerblick sind etwas günstiger und im Sommerhalbjahr öffnet auch noch ein nettes Strandrestaurant – was will man mehr. Zu Fuß erreicht man via Strandpromenade in rund 25 Minuten die Ville Close (64 boulevard Hébert, 35400 Saint-Malo, www.hotel-les-charmettes.com).
Les remparts: Mit »Intra muros« ist die befestigte Altstadt ausgeschildert, denn sie ist gänzlich von einer mächtigen, Ende des 17. Jh. unter Militärarchitekt Vauban gebauten Stadtmauer umschlossen und wird an drei Seiten vom Atlantik umspült. Wer die »Ville close« von Saint-Malo auf der Mauerkrone umrundet, nimmt sich schon fast das Beste gleich für den Anfang vor. Gleich gegenüber von Office de Tourisme (www.saint-malo-tourisme.com) und dem Château mit dem Rathaus darin eröffnet die Porte Saint-Vincent den Zugang zur Stadt. Treppen im Innern des Stadttors führen auf die Festungsmauer hinauf. Von oben schweift der Blick auf der einen Seite über den Mastenwald des Hafens, auf der anderen reihen sich die gleichförmigen Reeder-, Kaufmanns- und Kapitänshäuser aneinander, denen man nicht ansieht, dass sie nicht aus früheren Jahrhunderten stammen, sondern nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg im Stil des 18. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurden. Zwar kann man die Befestigungsmauer an allen Stadttoren wieder verlassen, doch ich spaziere gerne die knapp zwei Kilometer in sonniger Höhe ganz rund um die Stadt, bestaune den Sprungturm des Meerbads, erinnere mich an Chateaubriands Mutproben als Junge in den anbrandenden Wellen. Die Kindheitserinnerungen des französischen Schriftstellers sind Teil seiner vielbändigen »Mémoires d’outre-tombe«. Auf der kleinen Felseninsel Grand Bé vor Saint-Malo wurde François-René de Chateaubriand (1768–1848) begraben, der seine Heimatstadt eine »granitene Zitadelle« nannte.
Gut essen und einkaufen: Einige Adressen aus Saint-Malo habe ich hier schon vorgestellt: Der frühere Sternekoch Olivier Roellinger geht mit »Epices Roellinger« seiner zweiten Leidenschaft nach, den Gewürzen. Besonders guten Ruf genießen seine komplex komponierten Mischungen. Mit Gewürzen arbeitet auch der Chocolatier Pascal Pochon, seine Schokoladenspezialitäten aromatisiert er mit unterschiedlichsten Pfeffersorten, Koriander, Basilikum, Zitronenthymian, Muskat, Kardamom und mehr. In der Maison du Sarrasin bekommt man Buchweizen in vielfältiger Form, vom Mehl bis zum Tee, und gleich nebenan und um die Ecke betreibt Patron Bertrand Larcher mit dem Comptoir Café Breizh eine hervorragende Crêperie und einen Teesalon – in eines von beiden Lokalen sollte man einkehren, so gut sind die herzhaften Galettes aus Buchweizen und die Auswahl handwerklich gefertigter Cidres. In der Maison du Beurre gleich gegenüber in der Rue de l’Orme bietet Jean-Yves Bordier neben Käsespezialitäten seine handgeschlagene Fassbutter an, sehr geschätzt in der Sternegastronomie. Es gibt zahlreiche Sorten, auch gewürzt, beispielsweise mit Algen oder Yuzu. Eine Neuentdeckung für mich ist die Distillerie an der Place Brevet, die ihre Brennkessel gleich neben dem schönen Verkaufsraum stehen hat (interessanter als den Gin und den bretonischen Whisky finde ich den Rum). Und in der gut sortierten Librairie L’Odyssée holte mir der Buchhändler zielsicher die beiden gesuchten Titel aus dem Regal – beides weder Neuerscheinungen noch Bestseller, aber vorrätig!
Wegen des touristischen Auftriebs gibt es in der Ville close viele Restaurants, die sich nur dank der Lage schnell füllen, nicht unbedingt, weil das Essen so gut ist… Für das Ar Iniz, ein Hotelrestaurant an der Plage de Rochebonne mit Blick auf Strand und türkises Meer, hat Christian Le Squer, ein bretonischer Drei-Sterne-Koch aus Paris, den jungen Küchenchef bei der Speisekarte beraten. Für die Menüs im Meson Chalut muss man etwas tiefer in die Geldbörse greifen, die präzise zubereiteten bretonischen Fisch- und Meeresfrüchte und andere Zutaten wie Coco de Paimpol (weiße Bohnen), Buchweizen oder Lait ribot (Dickmilch) kommen aus nachhaltigem Fang, von lokalen Produzenten, die auf der Website genannt werden, oder aus dem eigenen Küchengarten.
Adressen:
Hotel Les Charmettes, 64 boulevard Hébert, www.hotel-les-charmettes.com
Epices Roellinger: 12 rue Saint-Vincent, www.epices-roellinger.com
Pascal Pochon: 47 quai Duguay-Trouin, www.carre-chocolat.fr
Maison du Sarrasin: 10 rue de l’Orme, https://lamaisondusarrasin.fr
Comptoir Café Breiz: 6 rue de l’Orme, www.breizhcafe.com
Salon de thé: 5 place Marché aux Legumes, www.breizhcafe.com/la-maison-du-sarrasin-salon-de-the
Maison du Beurre: 9 rue de l’Orme, www.maisonbordier.com
Distillerie de Saint-Malo: 4 place Brevet, https://ladistilleriedesaintmalo.com
Ar Iniz: 8 boulevard Hébert, https://ariniz.com/fr/restaurant/
Meson Chalut: 8 rue de la Corne de Cerf, www.meson-chalut.brzh
Librairie L’Odyssée: 4 rue du Puits aux Braies, https://librairie-odyssee.com