24 STUNDEN IN ARLES
Kunst und Kultur: Der erste Spaziergang führte uns gar nicht gleich zu den römischen Baudenkmälern, sondern an der Rhône entlang – keine schicke Promenade, sondern ein wenig frequentierter Spazierweg. Vorbei am Musée Réattu mit moderner Kunst in einer alten Malteserkomturei steuerten wir zuerst die Fondation Van Gogh an. Das südfranzösische Städtchen mit heute rund 55.000 Einwohnern hat schon früher Kreative angezogen, nicht erst seit mit dem Luma ein moderner Kreativcampus in alte Bahnhallen zog. Schon seit 1970 bieten die Rencontres de la Photographie, eine jährlich stattfindende Fotoausstellung von Weltformat, ein vielfältiges Programm. Doch vor allem an der Tatsache, dass Vincent van Gogh hier während seines fünfzehnmonatigen Aufenthalts 1888/89 knapp 200 Gemälde und über 100 Zeichnungen schuf, daran lässt man im Ort keinen Zweifel. Während das (rekonstruierte) gelbe Café La Nuit an der belebten Place du Forum wie der Espace Van Gogh im ehemaligen Hospital den zugkräftigen Namen kräftig vermarkten, ist die Fondation Van Gogh eine echte Überraschung – nur ein einziges Gemälde von Van Gogh ist zu sehen und das ist eine Leihgabe, warnt uns der junge Mann vor dem Ticketkauf. Denn hier werden Arbeiten junger Künstlerinnen und Künstler ausgestellt, die sich mit dem Werk des niederländischen Malers auseinandersetzen.
Monumente der Römerzeit: Schwer beeindruckt waren wir von den »Arènes«, während wir unten durch die Gänge streiften oder ganz oben vom Turm über dem Eingang den Ausblick über die Dächer der Altstadt genossen. Obwohl Arles zum Unesco-Welterbe zählt, für seine antiken Stätten weltweit bekannt und ein beliebtes Reiseziel für Hobby-Altertumsforscher ist, hatten wir das römische Amphitheater, um 90 vor Christus erbaut und einst eines der größten Galliens, in der Vorsaison so gut wie für uns allein. Anfang März waren die Bäume noch kahl, die Temperaturen bei strahlender Sonne und blauem Himmel zwar frühlingshaft mild, doch die Schatten noch lang und die Abende frisch. Warum der Baedeker mitteilt, der Besuch lohne nur zur Zeit der Feria, blieb uns rätselhaft. Neben dem imposanten Amphitheater und dem ebenfalls römischen Theater, aus dem Grabungsfunde im Musée Arles Antique zu sehen sind, lohnen die Thermes de Constantin einen Abstecher, die an die Badekultur der Antike erinnert.
Stadtteil mit Flair: Die schönste Entdeckung war das Kleine-Leute-Viertel La Roquette, wo einst Fischer, Hafenarbeiter und Handwerker, später Immigranten lebten. Der Stadtteil kam herunter, die Altbauten verfielen. Inzwischen ist es angesagt, sich hier ein renoviertes Häuschen zuzulegen, in den Gassen herrscht eine fast dörfliche Atmosphäre, nette Eckcafés halten die Stellung, neue Galerien eröffnen und verdrängen Bäckereien und Metzgereien. Im armen Arles, wo die Arbeitslosigkeit im französischen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist, beobachtet man den Aufschwung des Viertels mit Skepsis. Auf Zweitwohnsitze von Parisern und AirBnb-Ferienwohnungen kann man hier gut verzichten, wenn sich dadurch die Immobilienpreise vervielfachen und die angestammten Bewohner aus ihrer Stadt vertrieben werden, weil Wohnraum unerschwinglich ist.
Stilvolle Quartiere: Vom Bahnhof waren es zu Fuß nur ein paar Schritte zu unserem reservierten Zimmer in der Rue de la Cavalerie. Die 18 Zimmer der Maison Volver sind in einer Art unkonventionellem Bohemestil eingerichtet, im Erdgeschoss ist das lebhafte Restaurant durch große Glasfronten zur Straße geöffnet. Die historische Altstadt liegt gleich vor der Tür – ein stilvolles französisches Boutiquehotel, wie man es sich wünscht. Und gleich um die Ecke findet der große Wochenmarkt statt, der sich über mehr als 2 Kilometer entlang der Boulevards des Lices und Clemenceau erstreckt. Der Samstagsmarkt gilt als einer der schönsten der Provence. Traumhafte Alternativen zum Übernachten gibt es in etwas höherer Preislage: Superchic nächtigen lässt sich im Arlatan, wo man einem Renaissance-Palast mit handgefertigten Fliesen, Grünpflanzen und farbenfrohem Design viel Flair verliehen hat. Eine elegante Unterkunft ist auch Le Cloître, dessen Interieur von der französisch-iranischen Designerin und Architektin India Mahdavi mit Gespür für alte Steine und Atmosphäre, aber dezidiert zeitgenössisch gestaltet wurde. Das ehemalige Kloster liegt mitten in der Altstadt und punktet mit einer Bar auf der Dachterrasse. Beide und sogar das traditionsreiche Hotel Pinus gehören zum Portfolio von Maja Hoffmann, der Schweizer Unternehmenserbin, Milliardärin und Kunstmäzenin, die in Arles nicht nur in den Kulturkomplex Luma investierte, sondern weitere Kultureinrichtungen finanziert und ein Sternerestaurant etwas außerhalb betreibt. Ob solche Investitionen Arles in die Weltliga der Kunst katapultieren oder Arles zu einer Art Spielwiese der Reichen wird, beschäftigt kritische Stimmen wie Befürworter.
Wiederkommen: 24 Stunden waren viel zu wenig für die südfranzösische Stadt! Weder haben wir der romanischen Kathedrale St-Trophime genügend Aufmerksamkeit gewidmet noch haben wir die Alyscamps besucht, die antike Nekropole mit zahllosen Steinsarkophagen, oder das Arlaten-Museum mit provenzalischer Volkskunst. Die zahlungskräftige Pariser Oberschicht pilgert vorzugsweise während der drei, vier Monate im Sommer nach Südfrankreich, den Rest des Jahres bleibt Arles eine Kleinstadt in der französischen Provinz. Die Rahmenbedingungen für Kurzzeitvermietungen hat Frankreich sukzessive verschärft. Seit Januar 2025 gelten deutlich strengere Regeln und Besteuerung, außerdem vergrößert das Gesetz zur »régulation des meublés de tourisme« den Handlungsspielraum der Bürgermeister für Verbote in bestimmten Vierteln oder bei Obergrenzen für Vermietungstage. Einen Arles-Besuch in der Nebensaison, außerhalb des Hochsommers, empfehle ich dennoch – achten Sie auf eine seriöse Unterkunft, reisen Sie mit dem Zug an und bleiben Sie etwas länger…