TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: MUR DES AMOUREUX IN PARIS

Place des Abbesses: Der glasüberdachte Eingang zur Metrostation ist ein Schmuckstück des Jugendstils – und inzwischen eine Rarität in Paris. Doch fast alle Touristen haben nur Augen für eine Wand: Sie steuern zielstrebig die unscheinbare kleine Grünanlage dahinter an. Denn an der angrenzenden Brandmauer eines Gründerzeitbaus steht in unzähligen Sprachen »Je t’aime« geschrieben, dank Instagram wohl weltweit bekannt. Mehr als 300 Sprachen und Dialekte, Esperanto eingeschlossen, versammelt die 40 Quadratmeter große Kachelwand wohl – ich habe nicht nachgezählt, aber auf der Website www.lesjetaime.com steht dazu mehr (und meine Blogbeiträge zur Metrostation und zu den Eingängen generell hier und hier).

Je t’aime: Der Andrang junger Menschen, die sich hier fotografieren oder beim Fotografieren mit Selfiestick küssen wollen, ist stetig – nach dem Motto »Paris is always a good idea« (Audrey Hepburn). Wer bei Instagram vorbeischaut, fördert eine Flut immergleicher sentimentaler Selfie-Standards zutage, dazwischen ein paar besonders Kreative in Unterwäsche oder Ballettpose. Aber eine schlechte Idee ist ein liebevoller Bildgruß an den oder die Liebsten daheim auch nicht…

DIN A4: Der Musiker Frédéric Baron, der die Schriftzüge aus aller Welt ursprünglich für ein anderes Projekt gesammelt hatte, und die Kalligrafin Claire Kito entwickelten gemeinsam die Idee, für die Realisierung nicht Papier zu verwenden, sondern ein Mauerkunstwerk zu verwirklichen. Auf dunkelblauem Grund stehen nun die weißen Schriftzüge, und das exakte A4-Format der 612 emaillierten Kacheln soll an das ursprünglich verwendete Material erinnern – die Papierbögen, auf denen Baron seine Fundstücke sammelte. Vermutlich war es nicht von vornherein als Selfie-Hintergrund geplant, auch wenn immer mehr Hotels, Restaurants und eben auch Städte erkannt haben, dass selfie-taugliche Street-Art und überdimensionale Schriftzüge à la »I LOVE NICE« Lockmittel für junge Leute sind. Selbst Sehenswürdigkeiten sind nur »sehenswert«, wenn sie dem Selbstporträt einen fotografierfähigen Rahmen bieten: der nun nicht gerade unter Besuchermangel leidende Eiffelturm ließ eigens einen Glasboden in eine der Plattformen einbauen.

Mauerschrift: Schon frühe Vertreter des Homo sapiens entschieden sich für Wandmalereien, kein Wunder, dass auch die heutigen Street-Art-Künstler sich gerne Mauern und Fassaden aneignen, um ihre Arbeiten zur Schau zu stellen. Als Graffiti oder gesprayte Slogans sind darunter – neben einer beachtlichen Bandbreite anderer Ausdrucksformen –immer wieder auch Schriftzüge. Überhaupt prägt Schrift den öffentlichen Raum, ich habe hier schon Blogbeiträge zu LeuchtreklameMosaikschriftenalten Werbe-Schriftzügen als Ghostsigns, Ladenschildern, Trottoir-TypografieTypokalligrafie und mehr in Frankreich und insbesondere zu den typografischen Spuren urbaner Identität in Paris veröffentlicht.

Paris Montmartre Mur des Je t’aime

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