TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: BUCHSTABENMUSEUM IN BERLIN
Buchstaben im Museum? Extra nach Berlin gefahren bin ich, weil ich dieser Sammlung abmontierter Schriftzüge schon ewig einen Besuch abstatten will. Jetzt hat es endlich geklappt! Am späten Mittag an einem eisigen Februartag habe ich damit gerechnet, als Typo-Fan weitgehend allein durch die Räume in den Stadtbahnbögen zu schlendern. Denn dort, bei der Haltestelle Bellevue im Hansaviertel, hat das Buchstabenmuseum ein Quartier gefunden, platzt aber schon wieder aus allen Nähten. Aufgestapelt, an die Wand gelehnt und auf dem Boden verteilt sind einzelne Buchstaben und ganze Schriftzüge. Aber denkste! Der Andrang ist groß, und da es sich vor allem um junge Menschen aus aller Welt handelt, aus Barcelona, Valencia und Salamanca, Edinburgh und der Ukraine, wie das Gästebuch verrät, liegt der Schluss nahe, dass dieser Ort in den sozialen Medien ganz schön populär sein muss. Und ich hatte Sorge, dass der Glasbläser der Neonwerkstatt, der donnerstags nachmittags sein Handwerk vorführt, vielleicht mangels Publikum nicht antritt…
Typo-Sammelleidenschaft: Gleich im Foyer lehnen die mehr als mannshohen Buchstaben A, E und G, die einst auf der Firmenzentrale der Allgemeinen Electricitäts-Gesellschaft geprangt hatten und 1999 mit viel Aufwand demontiert wurden (eine Leihgabe des Deutschen Technikmuseums Berlin). Im Durchgang zwischen zwei Räumen hängt ein Boxbuchstabe von Klitschko, das einzige Papierbild, denn gesammelt werden vornehmlich dreidimensionale Schriftzüge, von Telekom und Miele, Fruchthaus und Blumen Lehmann, Film Palast und Berliner Großmarkt. Hunderte Buchstaben konnten von dieser privaten Initiative schon vor Verwitterung oder endgültiger Verschrottung gerettet werden, darunter recht viele Leuchtschriften, aber auch Exemplare aus Holz oder Edelstahl. Ausgangspunkt war die Begeisterung für Typografie, und so gründeten Barbara Dechant und Anja Schulze im Jahr 2005 den Verein Buchstabenmuseum e.V. In Zukunft sollen wechselnde Ausstellungen die individuellen Geschichten der Bestände präsentieren und die typografischen Eigenheiten wie die Herstellungsprozesse dokumentieren.
Zeichen der Zeit: Schrift prägt den öffentlichen Raum, ich habe hier schon Blogbeiträge zu Leuchtreklame, Mosaikschriften, alten Werbe-Schriftzügen als Ghostsigns, Ladenschildern, Trottoir-Typografie und Typokalligrafie, Versalien und Serifen und mehr in Frankreich und insbesondere zu den typografischen Spuren urbaner Identität in Paris veröffentlicht. Dort wird ein wenig mehr darauf geachtet, alte Beschriftungen zu erhalten, auch wenn längst neue Gewerbe oder Läden eingezogen sind. In Deutschland sind alte Schriftzüge in vielen Innenstädten inzwischen eine Rarität – durch fortschreitende Standardisierung und im Zuge der Globalisierung verschwinden traditionelle Familienbetriebe und mit ihnen die individuellen, handwerklich hergestellten Beschriftungen. Dass im Buchstabenmuseum bewahrenswerte Typografie aus dem öffentlichen Raum dauerhaft erhalten wird, kann durch den Museumseintritt unterstützt werden, zusätzlich aber auch durch eine Mitgliedschaft im Verein oder eine Patenschaft.
Buchstabenmuseum, Stadtbahnbogen 424, 10557 Berlin, www.buchstabenmuseum.de, U Hansaplatz, S Bellevue, Do–So 13–17 Uhr