BORDEAUX: SPAZIERGANG AM RIVE DROITE
La Bastide: Allerorten wird gebaut in Bordeaux. Im Stadtteil Bacalan entstanden rund um ehemalige Hafenbecken auf immensen Flächen neue Wohnquartiere. Das Viertel zwischen Bahnhof und Méca wird fast komplett erneuert und ist mit Bürobauten und Unternehmenssitzen als »Euratlantique« eines der großen Stadtentwicklungsprojekte (wie es sie ähnlich in Marseille, Nantes und Lyon gibt) Frankreichs, zu dem auch eine neue Brücke über die Garonne gehört. Mit den urbanistischen Aktivitäten am rechten Ufer sind das insgesamt gigantische Immobilienprojekte, denn auch im aufstrebenden Stadtviertel La Bastide am rechten Ufer tut sich viel.
Jardin Botanique: Grünes Schmuckstück des Stadtteils Bastide ist der Botanische Garten, der Ende der 1990er-Jahre vom linken Ufer hierher verlegt wurde. Gestaltet von Catherine Mosbach, einer weit über Europa hinaus bekannten Landschaftsarchitektin aus Paris, weist er recht unterschiedliche Themengärten auf. In den Gewächshäusern fühlen sich fleischfressende und mediterrane Pflanzen wie Palmen und Kakteen wohl, in den Wasserbecken ganz am anderen Ende Lotus, Seerosen, Teichbinsen, Schwimmfarne, Wasserlinsen und andere Hydrophyten. Richtung Garonne wird außerdem anhand inselartiger Hügel, der »Milieugalerie«, der Zusammenhang von Geologie, Boden und Vegetation für verschiedene Landschaftstypen Aquitaniens offenbar. Das Gegenstück zum Jardin Vertical mit Kletterpflanzen bilden die Allée des Plantes mit Pionierpflanzen, die Champs de Cultures mit Obstbäumen und Nutzpflanzen sowie ökologische Insektenweiden. Insgesamt soll der Stadtteil La Bastide auf einen Grünanteil von 50 Prozent kommen, was vergleichsweise viel ist, und eher von fußgänger- und radfahrerfreundlichen Wegen durchzogen sein als von Straßen.
Quai des Qeyries: Wählt man im Jardin Botanique nicht den Ausgang zur Garonne hin, sondern biegt man am kleinen Aussichtshügel seitlich zwischen den modernen Mehrfamilienhäusern hindurch, gelangt man auf Fußwegen durch die hier erst kürzlich entstandene Wohnbebauung zum Darwin. Ein grün beranktes Gebäude bildet die Ausnahme in diesem Viertel, das eigentlich ökologischen Ansprüchen genügen sollte. Der benachbarte, Ilot Queyries genannte, im Herbst 2021 fertiggestellte Wohnblock mit steilen, gipfelartigen Dächern und strahlend hellen Keramikfassaden dagegen sperrt als »gated community« den grünen Innenhof für die Öffentlichkeit (obwohl es vertraglich anders vereinbart war). In das markante Gebäude zur Garonne hin, das man auf dem Rückweg passiert, soll in die oberste verglaste Etage ein Restaurant einziehen – Traumblick auf das historische Zentrum von Bordeaux inklusive.
Darwin: »Zone d’amenagement concerté« heißen große Stadtentwicklungsprojekte in Frankreich, und die 38 Hektar ehemaliges Gewerbegebiet der »ZAC Bastide-Niel« am rechten Ufer zählen dazu. 3500 Wohnungen sollen rund um die umfunktionierte ehemalige Kaserne Niel entstehen, wo man sich sich inzwischen umzingelt fühlt und den nicht notwendigen Abriss benachbarter Lagerhallen beklagt, obwohl laut Masterplan (www.bastideniel.fr) eigentlich möglichst viel des alten Bestands erhalten und umgenutzt werden sollte, mit mehr Grün und offenen Höfen. Das Darwin, eine angesagte Location in Bordeaux, nahm im Viertel eine Pionierrolle ein. Unter grünem, nachhaltigem Vorzeichen treffen sich in der ehemaligen Kaserne nun Alternative, Kreative und Start-ups im Co-Working-Bereich (https://darwin.camp). Auf einer Fläche von fast 200.000 Quadratmetern untergekommen sind das Biobistro »Magasin Général«, die Sneakermarke Vega, eine Ecolodge zum Übernachten, eine Micro-Winery, ein Skate Park, Urban Gardening und Recycling-Bazar, der Secondhand-Markt von Emmaüs, eine Buchhandlung, eine Fahrradwerkstatt ….
Parc aux Angéliques: Die Guinguette, so heißen Gartenwirtschaften in Frankreich, scheint das Flair vergangener Zeiten am Flussufer wiederzubeleben. Neben toller Aussicht auf die Garonne und Bordeaux Rive Gauche bietet das Lokal Chez Alriq abends romantische Stimmung unter freiem Himmel mit Lichterketten und – wie es sich für eine echte Guingette gehört – ab und zu mit Livemusik. Der Parc aux Angéliques ist zwar noch recht jung, doch einen unschlagbaren Vorteil haben die Grünanlagen am Quai de Queyries und Quai Deschamps schon jetzt – der Blick über die Garonne auf die Schaufront von Bordeaux ist einfach fantastisch. Die Stadt erwarb diverse Hafengrundstücke am Fluss und beauftragte Landschaftsarchitekt Michel Desvigne. In seinem Entwurf sind zahlreiche Baumreihen quer zum Flussufer das prägende Stilelement – vor allem einheimische Arten wie Esche, Ahorn, Vogelkirsche und Hainbuchen wurden dafür angepflanzt. Improvisiertes Picknick, auf der Slackline trainieren, das Fahrrad kurz hinwerfen und lesen oder per Kopfhörer Musik hören, all das ist möglich und wird schon jetzt gern getan.
Sud-Ouest: Vorbei am Denkmal für Toussaint Louverture und einem grasgrünen Pavillon geht es zurück Richtung Garonne-Brücke. Die Wohnbebauung am Quai des Queyries und zu beiden Seiten des botanischen Gartens war als »ZAC Coeur de Bastide« der erste Teil der Urbanisierung (auf 29 Hektar, ab 1999). In Nummer 23 residiert die 1944 gegründete Tageszeitung Sud-Ouest, die zweitgrößte unter den französischen Regionalzeitungen. Hier im Südwesten Frankreichs gibt man für die Départements Gironde, Landes, Pyrénées-Atlantiques, Lot-et-Garonne, Dordogne, Charente et Charente-Maritime zehn Lokalausgaben heraus (www.sudouest.fr). Übrigens: Die Druckerei (andernorts in Bordeaux) der Zeitung kann besichtigt werden (https://visite-imprimerie.sudouest.fr/)
Jeux Olympiques 2024: Die olympische Fackel, deren Flamme am 16. April in Griechenland entzündet wird, kommt am 8. Mai via Marseille nach Frankreich und trifft am 23. Mai in Bordeaux ein, denn hier finden sieben Spiele der Fußballwettbewerbe statt, im für die EM 2016 erbauten Stade Matmut Atlantique. Vor der ehemaligen Gare d’Orléans, mit dessen Bahnhofsbau die Bestrebungen, das Rive Droite stadtplanerisch einzubeziehen, Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahmen, habe ich kapituliert, statt noch via Pont de Pierre die Garonne zu überqueren. Der stillgelegte Bahnhof beherbergt heute ein Multiplexkino, am Flussufer davor ist ein Anlegesteg des Fluss-Shuttles Batcub. Etwas fußlahm, bin ich nicht bis zur Tram-Haltestelle auf der Place de Stalingrad mit dem mächtigen hellblauen Löwen von Xavier Veillan weitergegangen, sondern kurzerhand auf das gerade anlegende Boot gehüpft.
Pont de Pierre: Die älteste Brücke über die Garonne wurde 1810 von Napoleon in Auftrag gegeben – vermutlich sollte sie Truppentransporte Richtung Spanien erleichtern. Als das 1822 fertiggestellte Bauwerk den Fluss überspannte, war die Herrschaft des französischen Kaisers allerdings längst beendet. Jahrhunderte lang musste Bordeaux ohne Brücke auskommen – weil die Garonne hier rund 500 Meter breit ist, und weil die starke Strömung bei Ebbe und Flut und die wenig stabilen, sumpfigen Ufermarschen den Bau einer Brücke erschwerten. Über den Fluss gelangte man bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nur mittels Fähren. Bis heute ist die Brücke angesichts der Wasserkraft des Flusses und der natürlichen Gegebenheiten eine technische Meisterleistung; zur Entstehungszeit galt sie als das Bauwerk des Jahrhunderts. Mehr als 100 Jahre blieb die gewaltige, 486 Meter lange Steinbrücke die einzige Straßenverbindung der beiden Flussufer miteinander verband. Zwar wurde 1860 unter der Bauleitung des jungen Gustave Eiffel eine Eisenbahnbrücke errichtet, die inzwischen ebenfalls unter Denkmalschutz steht, doch erst die 1965 eröffnete Pont Saint-Jean entlastete den stark gestiegenen Autoverkehr. Mit ihren 17 Bögen wirkt die flache Konstruktion durch ihre langgestreckte Ausdehnung und die Kombination von Stein und Ziegeln als Baumaterial ausgesprochen elegant. Die Zahl der Bögen soll von den Bauingenieuren entsprechend der Anzahl der Buchstaben in Napoleon Bonaparte gewählt worden sein, heißt es. Mit Beginn der Dämmerung wird die Brücke angestrahlt und ergänzt dann wirkungsvoll die aufwendige Illumination des Place de la Bourse und der Garonne-Promenade.