FRANKREICH UND DER SKLAVENHANDEL
Sklaverei als Verbrechen: Am 10. Mai gedachte Emmanuel Macron als Präsident Frankreichs der Abschaffung der Sklaverei. Unter der Präsidentschaft Jacques Chiracs hatte das französische Parlament 2001 die Sklaverei und den Sklavenhandel als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« deklariert und 2006 den 10. Mai zum offiziellen Gedenktag erklärt, um der Historie Rechnung zu tragen. Zu dieser Abschaffung brauchte es in Frankreich zwei Anläufe. Während der Französischen Revolution, am 4. Februar 1794, wurde per Dekret die Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien beschlossen. Nachdem Napoleon die Sklaverei wieder einführte, wurde sie erst 1848 endgültig abgeschafft. Am 23. Mai wird mit der »Journée nationale en hommage aux victimes de l’eslavage colonial« der Opfer der kolonialen Sklaverei gedacht.
Napoleon Bonaparte: Am 5. Mai hielt Emmanuel Macron auch zum 200. Todestag des »kleinen Korsen« eine offizielle Gedenkrede und legte einen Kranz am Grabmal des selbsternannten Kaisers im Pariser Invalidendom ab. Umstritten sind solche Feierlichkeiten zum Gedenken an den »großen Feldherrn« und Militärstrategen selbst in Frankreich, weil die historische Bewertung Napoleons inzwischen recht kritisch ausfällt. Von höchster Glorifizierung reicht die Bandbreite bis zu scharfer Ablehnung: Der am 15. August 1769 in Ajaccio geborene und am 5. Mai 1821 im Exil gestorbene Eroberer gilt als Kriegstreiber, dessen Expansionslust geschätzt 3,5 Millionen Menschen das Leben kostete. Zugleich erfährt Napoleon nach wie vor Respekt als Reformer, der mit dem »Code Civil«, dem ersten für ganz Frankreich verbindlichen Zivilgesetzbuch, für die Modernisierung von Verwaltung, Recht und Gesellschaft sorgte. Im Rahmen der aktuellen Rassismusdebatten wird nun auch wieder daran erinnert, dass Napoleon 1802 verfügte, die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien rückgängig zu machen, und 1805 den Code noir ausdrücklich bestätigte.
Code noir: Der seit 1685 geltende »Code noir«, ein Dekret des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zum Umgang mit schwarzen Sklaven, fußte auf bereits bestehenden Gepflogenheiten der Plantagenbesitzer in der Karibik, wie sie die von Frankreich entsandten Intendanten der Kolonien notiert hatten. Schon mindestens seit 1625 wurden Menschen zwangsweise aus Afrika auf die Antillen verschleppt, um den industriemäßigen Anbau von Zuckerrohr zu ermöglichen. So hatte beispielsweise Martinique, wo (ein Jahrhundert später) die Eltern von Napoleons Gattin Josephine Plantagen und Sklaven besaßen, schon im Jahr 1660 rund 5200 Einwohner, etwa zur Hälfte Weiße und schwarze Sklaven. Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1682, hatte sich die Bevölkerung verdreifacht und der Anteil der Sklaven betrug knapp 70 Prozent. De facto war der Code noir, der bis 1848 galt, ein juristisches Dokument der »weißen Barbarei, des Kolonialrassismus«, das die Sklaverei legalisierte.
Toussaint Louverture: Die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – entwickelten in den Kolonien eine besondere Sprengkraft. Saint-Domingue (das heutige Haiti), zeitweilig eine der reichsten französischen Kolonien, zählte damals um 455.000 Einwohner, davon 90 Prozent Sklaven. François-Dominique Toussaint Louverture (1743–1803) gilt als Wegbereiter der Unabhängigkeit von Haiti. Er schloss sich 1791 der Sklavenrevolte an und wurde dank seines militärischen Sachverstands schnell der Anführer dieser Befreiungsbewegung. Der Aufstand endete 1793 siegreich und führte letztlich zur Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1794. Aufgrund seiner militärischen Erfolge wurde der Freiheitskämpfer zum Obergeneral der französischen Truppen in Haiti ernannt, die Briten und Spanier vertreiben sollten, sowie 1799 zum Gouverneur der Kolonie. Als Toussaint jedoch die Unabhängigkeit von Frankreich anstrebte und der Insel eine eigene Verfassung gab, entsandte Napoleon Bonaparte eine Truppe von rund 25.000 Soldaten, die die abtrünnige Kolonie besetzten, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Toussaint geriet 1802 in Gefangenschaft und wurde nach Frankreich deportiert, wo er in der Festung Joux an den Folgen der Haftbedingungen 1803 starb. In Saint-Domingue ging der Befreiungskampf unterdessen weiter und die französischen Truppen mussten sich letztendlich geschlagen geben. Am 1. Januar 1804 proklamierte Saint-Domingue die Unabhängigkeit der Insel unter dem Namen Haiti.
Bordeaux: Nach Nantes war Bordeaux der zweitwichtigste Sklavenhandelshafen der Kolonialmacht Frankreich und versorgte vor allem Saint-Domingue, die größte französische karibische Kolonie, mit der »Ware Mensch«. Dass der wirtschaftliche Aufschwung und der Reichtum von Hafenstädten wie Bordeaux, Nantes und La Rochelle vom lukrativen Sklavenhandel herrührt, daran wird inzwischen durchaus erinnert – so auch in der Dauerausstellung im Musée d’Aquitaine. Bis noch vor einigen Jahren wurde dieses unrühmliche Kapitel der Stadtgeschichte ohne das geringste schlechte Gewissen lieber verschwiegen, doch das hat sich zuletzt geändert. Am Quai des Chartrons erinnert eine in den Boden eingelassene Platte an das Leid der Sklaven, die von hier mit Schiffen über den Atlantik deportiert wurden, als Handelsware eingepfercht, mit Todesraten von zwölf bis 18 Prozent. Diejenigen Menschen, die die barbarischen Bedingungen der Fahrt überlebten, wurden nach der Ankunft verkauft oder versteigert, um auf den Plantagen zu arbeiten, wo ihre Behandlung ebenfalls so schlecht war, dass die Lebenserwartung nur fünf bis sechs Jahre betrug. Die Schiffe kehrten nach Bordeaux zurück, vollbeladen mit Tabak, Kaffee, Rum, Indigo und Zucker. In der Grünanlage am Garonne-Ufer steht seit 2005 ein Denkmal für den Freiheitskämpfer Toussaint Louverture, ein Werk des Künstlers Ludovic Booz aus Haiti, das Haiti der Stadt schenkte. In der Rue Fondaudège erinnert eine Plakette daran, dass der Sohn Isaac Louverture dort lebte, außerdem wurde eine Sackgasse nach Toussaint Louverture benannt. Literarischen Niederschlag fand das Leben des Nationalhelden von Haiti in zwei Erzählungen von Anna Seghers, in »Die Hochzeit von Haiti« und »Der Schlüssel«, Aimé Césaire widmete ihm eine Biografie, Edouard Glissant ein Theaterstück.
Aufklärung: Mit der »Enzyklopädie«, erschienen zwischen 1751 und 1780 in insgesamt 35 Bänden, versammelten die Herausgeber Denis Diderot und Jean Le Rond d’Alembert das Wissen ihrer Zeit und machten es der (des Lesens kundigen) Öffentlichkeit zugänglich – als eine Art Wikipedia des 18. Jahrhunderts. Der im Dezember 1765 veröffentlichte Band mit den Buchstaben N bis P enthält unter anderem den Artikel »Nègres«, in dem der anonyme Verfasser die Abscheulichkeit des Sklavenhandels nur notdürftig von der Schutzbehauptung kaschiert sieht, immerhin bringe dies den Wilden durch Verbreitung des christlichen Glaubens »ihr Seelenheil«. Schon in den Artikeln »Egalité naturelle«, »Esclavage« und »Liberté naturelle« hatten die Aufklärer eindeutig Position bezogen: die Sklaverei verletze das Prinzip der natürlichen Gleichheit aller Menschen. Und im Artikel »Traite des nègres« (Sklavenhandel) wird das kommerzielle Interesse am Menschenhandel für den Anbau von Zuckerrohr, Indigo und Tabak mit deutlichen Worten kritisiert: »À qui est-il permis de devenir opulent, en rendant malheureux ses semblables? Peut-il être légitime de dépouiller l’espèce humaine de ses droits les plus sacrés, uniquement pour satisfaire son avarice, sa vanité, ou ses passions particulières? Non…« Die Kritik der Aufklärer an jeglicher Unterdrückung, ob durch absolutistische Herrscher oder im Namen Gottes, brachte Kirche und Obrigkeit gegen sie auf, mündete aber auch in der Französischen Revolution.