NEUE ARCHITEKTUR: MÉCA IN BORDEAUX

Bjarke Ingels hat den Bogen raus: Am Ufer der Garonne in Bordeaux wurde sein Entwurf für das MÉCA realisiert, ein echter Eyecatcher an der Bahnstrecke, über die man nach Bordeaux anreist – wie das Musée des Confluences an der Autobahn in Lyon. »Designed by BIG«, ja, so lautet die Abkürzung für das Architekturbüro des Dänen, und wer hier nicht die Nachtigall trapsen hört, tut mir leid. Das Architektur-Magazin Detail hält das Ganze für ein »urbanes Wohnzimmer«, Abitare nennt den Bau »totemic but unpretentious«! Da kann frau ja nur irritiert lachen. Unpretentious? BIG soll hier alles sein, gigantisch, überwältigend, Statement-Architektur, ein Signature Building. Die Auftraggeber wollten vermutlich auch genau das, ein Gebäude, das sich selbst wichtiger nimmt als seinen Inhalt. Schließlich hat das Guggenheim-Museum in Bilbao vorgemacht, was spektakuläre Architektur an Aufwertung für ganze Stadtviertel bewirken kann. Nun möchte jede Stadt den Bilbao-Effekt, und Bordeaux nach der Cité du Vin aufs erste neue Wahrzeichen noch ein zweites draufsetzen. Geht’s noch? Immer öfter frage ich mich, ob man nicht nur #frauenzählen müsste bei Autorinnen oder Vorstandsposten, sondern auch bei Architekten, sonst bleibt’s beim Bauen ohne Empathie und Überwältigungsarchitektur. Muss denn nur noch monumentalisch-phallisch-großspurig-aufgeblasen oder Nullachtfuffzehn gebaut werden? Selbst »Form follows function« war einst eher Marketingmotto als echte Maxime, und zu gern wüsste ich, was die hier beschäftigten Mitarbeiter von ihren Arbeitsbedingungen halten (ich erinnere mich nur mit Grausen an Kälte, Durchzug und Lärm in der von »Architekturkritikern« vielgelobten Stuttgarter Stadtbibliothek).

Kulturzentrum für die Region Nouvelle-Aquitaine: Gewiss müssten mehr Architektinnen her, um der »Unwirtlichkeit unserer Städte« menschliches Maß entgegenzusetzen. Mir gefällt das 37 Meter hohe, 120 Meter lange MÉCA nicht nur nicht, ich finde es obszön. Vor Ort wird gejubelt: »C’est une arche! … C’est un phare! . . . C’est un totem!« BIG gewann die Ausschreibung über 60 Mio. Euro in der Konkurrenz zu Jean Nouvel, Zaha Hadid Architects und Dominique Perrault. Ob sie es hätten besser machen können, hängt auch von den Vorgaben der Bauherren ab. Doch zu den Fakten: Das im Juni eröffnete »Maison de l’Économie Créative et de la Culture en Aquitaine« von BIG soll als Schauplatz für zeitgenössische Kunst, Filme und Performances aller Art dienen. Drei regionale Kunstagenturen sind hier untergebracht – FRAC für zeitgenössische Kunst, ALCA für Kino, Literatur und audiovisuelle Medien und OARA für darstellende Kunst. Eine Abfolge von Stufen und Rampen führe die Besucher direkt in das »urbane Wohnzimmer« des MÉCA, mir erscheint die triumphale Freitreppe eher einschüchternd. Eine Bronzeskulptur von Benoît Maire mit einem Hermeskopf soll zum Nachdenken über die zeitgenössische Kultur der Region einladen, vielleicht hätte das eher der Architekt tun sollen. Wie »4.800 Betonplatten und unterschiedlich große Fenster den Lichteinfall im Inneren kontrollieren und ein Gefühl der Transparenz schaffen«, bleibt ein Rätsel der Architektenprosa. Über die Raumqualität im Innern erfährt man dagegen nichts. Bjarke Ingels behauptet: »Das Besondere von Méca ist, dass es die Kunst in die Stadt und Stadt in die Kunst transportiert und dadurch neue Hybride aus kulturellem und sozialem Leben erzeugen wird.« Wer’s glaubt?! Oder ob das Hybride überhaupt mehr als eine Sprechblase ist? Wenigstens wird auch der Uferbereich an der Garonne von der Schnellstraße zur grünen Promenade umgebaut. Echter Mehrwert!

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