TYPISCH PARIS: ZINKDÄCHER
Eine Dachlandschaft aus Zink: Auf ungefähr 32 Millionen Quadratmeter schätzt APUR die Dachflächen in Paris, rhythmisiert durch Tausende von kleinen tönernen Schornsteinen. Als charakteristisches Merkmal prägen Zinkdächer das Stadtbild der französischen Metropole intra muros, also innerhalb des Périphérique – was sich so richtig aber erst durch den Blick von oben offenbart. Aus erhöhter Perspektive entdeckt man die Vielfalt an Grautönen, hier und dort eine vergoldete Kuppel dazwischen, einen Kirchturm, das Flachdach eines modernen Bürogebäudes und vereinzelt das Grün bepflanzter Dachterrassen. APUR, das Atelier Parisien d’Urbanisme, dessen Veröffentlichungen ich sehr schätze, da sie unter anderem alle fünf Jahre das Stadtmobiliar zählen, ermittelte für die 2022 erschienene Studie »Les toits de Paris« einige statistische Fakten, denn in Zeiten des Klimawandels gilt es, über die Zukunft der Dächer aufgeschlossen nachzudenken und an vielen Stellschrauben zu drehen.
Metalldächer mit Patina: Schon seit vielen Jahrhunderten nutzte man mit Kupfer und Blei Metalle zur Dachdeckung, doch erst im 19. Jahrhundert kam als verhältnismäßig neues Material Zink hinzu. Dass es in der französischen Hauptstadt in weit größerem Ausmaß als anderswo verwendet wurde, liegt in der radikalen Modernisierung ab den 1850er-Jahren begründet. Kaiser Napoleon III. beauftragte Baron Georges-Eugène Haussmann, seinen Präfekten, mit dem stadtplanerischen Umbau von Paris im großen Stil. Dafür ließ Haussmann zahlreiche alte Gebäude und ganze noch mittelalterliche Wohnviertel mit engen Gassen abreißen – die Stadt wurde zur größten Baustelle dieser Epoche. Die Idee, Zinkblech zu verwenden, stellte sich als kostensparend und einfach in der Verarbeitung heraus. Weit weniger aufwendig als ein Holzdachstuhl mit Dachziegeln zu installieren, schützt es ebenso gut dauerhaft vor Wettereinflüssen. Das Löten der »Nähte« zwischen den gewalzten Blechen brachte zwar auch gewisse Probleme mit sich, doch dessen ungeachtet wurden Zinkdächer sehr beliebt und sind in Paris so weit verbreitet, dass sie 78 Prozent der Gebäude bedecken. Nachdem ein erstes Vorhaben scheiterte, die Dächer selbst in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufzunehmen, soll nun ein Antrag für das traditionelle Know-how der Dachdecker gestellt werden, das von Frankreich im Jahr 2017 in das Inventar des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde.
Mansarden: Im Zuge der Stadtumgestaltung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden also sehr viele Häuser und damit auch Dächer neu errichtet. Eine weitere Besonderheit entstand: Die raumschaffende, geknickte Bauweise mit einem sehr steilen, sichtbaren Teil der Bedachung oberhalb der Fassade und recht flachem, kaum geneigten Oberdach (über das die »toiturophiles« sich gern von Dach zu Dach fortbewegen). Für die steilen Unterdächer wählte man oft Schiefer, ein Material, das bereits auf den herrschaftlichen Stadtpalais in Paris Verwendung fand. Ihren auch im Deutschen gebräuchlichen Namen Mansarden erhielten die so entstandenen Dachgeschosszimmer allerdings nach dem Architekten François Mansart (1598–1666) und seinem Großneffen Jules Hardouin-Mansart (1646–1708), die in früheren Zeiten diese Art zu bauen schon stark bei ihren zahlreichen Prunkbauten vorangetrieben hatten.
Grün und erneuerbare Energie: In Zeiten des Klimawandels wächst das Interesse an Begrünung, Solarpaneelen und urbaner Landwirtschaft auf den Dächern. In Paris ist es schon an normalen Tagen durchschnittlich 2 bis 3 Grad Celsius wärmer als in den umliegenden weniger dicht besiedelten Gebieten. Während Hitzewellen kann die Differenz auf bis zu 10 Grad wachsen, sodass die Sorge berechtigt scheint, der Temperaturrekord von 42,6 Grad Celsius aus dem Juli 2019 könnte schon bald wieder übertroffen werden. Die Pariser Dachwohnungen unter Zinkdächern würden wohl unbewohnbar werden, weil Zink ein stark leitendes Metall ist, das Wärme absorbiert. Die Stadt ist keineswegs untätig, im Gegenteil: Paris ist führend im Kampf gegen den Klimawandel. Schon seit vielen Jahren gibt es ehrgeizige Klimaschutz-Konzepte, die mit einer Fülle kommunaler Maßnahmen längst in der Umsetzungsphase sind (siehe hier und hier). Die Dächer sind allerdings eine besondere Herausforderung, so müssten für den Umstieg auf erneuerbare Energien möglichst mindestens 20 Prozent der Pariser Dächer mit Solaranlagen ausgestattet (das Solarkataster zeigt das vorhandene Potenzial https://capgeo.sig.paris.fr/Apps/CadastreSolaire/) und viele weitere begrünt werden. Laut den Zahlen von APUR sind bislang nur 3 Prozent der Dächer begrünt und nur 654 Dächer mit Solaranlagen ausgestattet.
Die Dächer in Literatur und Kunst: Mal abgesehen von Dachkammer-Versen von Paul Verlaine und Charles Baudelaire haben vor allem populäre Medien wie das Chanson und der Film das Leben unter den Dächern von Paris verewigt – von Edith Piaf bis zu René Clair.
Das Musée du Luxembourg besitzt als Leihgabe »Les toits de Paris« von Cézanne, eines seiner wenigen Gemälde mit städtischem Motiv. Es zeigt den Blick aus seinem Zimmer in der fünften Etage eines Gebäudes in der Rue de l’Ouest im Montparnasse-Viertel, das der Maler im Jahr 1880 bewohnte. Gustave Caillebotte malte fast zur selben Zeit (1878/79) den Blick auf schneebedeckte Dächer: »Vue de toits (Effets de neige)«, das dem Musée d’Orsay gehört. Und auch von Vincent van Gogh gibt es mehrere Gemälde mit Pariser Dachlandschaft, den Blick vom Montmartre beispielsweise. Von zeitgenössischen Maler:innen gar nicht zu reden, hier wird es uferlos…