PARISER STADTMOBILIAR: BÄNKE
Ich will einfach nur hier sitzen! Eigentlich fallen sie gar nicht auf beim Paris-Besuch. Erst wenn die Füße vom Rumlaufen müde sind, fällt der Blick auf eine grüne Bank. Tatsächlich stehen sie zu Hunderten, vermutlich zu Tausenden in der französischen Hauptstadt (8593 Bänke hat das Atelier parisien d’urbanisme 2022 allein an den Straßen und auf Plätzen gezählt, ohne Parks und Gärten). Auch bei der Archivsuche nach Aufnahmen als Illustration für diesen Beitrag ergab oft erst der zweite Blick, dass ich (auch) eine Bank oder mehrere Bänke fotografiert hatte – bei keinem der Fotos jedoch explizit (außer den letzten beiden explizit und nachträglich wegen der historischen Konstruktion). Das macht deutlich, wie harmonisch und unauffällig sie sich ins Stadtbild integrieren! Heute ist das leider nicht mehr selbstverständlich und die Gedankenlosigkeit, mit der Sitzbänke aus Metall, Holz, Stein, Kunststoff oder Beton in auffälliger Gestaltung im öffentlichen Raum aufgestellt werden, führt ebenso zu einer Art urbanen Stadtverschmutzung wie der Schilderwald, die überall wuchernden Werbeflächen und die Allgegenwart der PKWs.
Davioud-Bänke: Viele dieser so typischen Objekte des Stadtmobiliars in Paris stammen aus der Ära von Baron Haussmann Mitte des 19. Jahrhunderts, dessen Name bekannter ist als der seines Mitstreiters Gabriel Davioud (1824–1881), der die Bänke entwarf. Von Brunnen und Leuchten über die Kioske bis zu den Gittern, die die Baumwurzeln schützen, erhielt fast das gesamte Pariser Stadtmobiliar in dieser Epoche des Second Empire seine Gestalt. Beim Umbau der französischen Hauptstadt erhielten zum einen Parkanlagen und Gärten Bänke – dort steht häufig die geschwungene Variante, »gondole« genannt, und auch damals schon gratis zu nutzen, neben den lose verteilten Stühlen, die früher gegen Gebühr vermietet wurden. Daneben wurden aber auch Straßen und Avenuen mit öffentlichen Sitzgelegenheiten ausgestattet. Sie eroberten rasch die Pariser Straßen und Plätze: Allein im Jahr 1869 sollen 8428 Bänke in der Hauptstadt aufgestellt worden sein – in der Regel in einer Linie mit den Baumreihen längs des Trottoirs. Wie Kioske, Pissoirs und die »Colonne Morris« genannten Anschlagsäulen wurden sie industriell gefertigt, mit gusseisernen Halterungen und Füßen und mit einer grünlackierten Eichenlatte als Rücklehne und zweien als Sitzfläche. Die »double assise«, die zweiseitige Doppelbank, auf der man Rücken an Rücken sitzt, ist 124 Kilogramm schwer und 2,25 Meter lang. Gerade die einheitliche Gestaltung im selben Stil und in dunklen Grüntönen macht das urbane Mobiliar in Paris zum integralen Bestandteil des Stadtbilds.
Hostile Design: Die »Davioud-Bänke« werden weiterhin restauriert und ersetzt, während Paris gleichzeitig an einigen Orten wie der Place de la République, an den Kanälen und am Seine-Ufer moderne Sitzgelegenheiten testet. In den Métro-Stationen gibt es dagegen überhaupt keine Bänke mehr. Ende der 1990er-Jahre begann man, einzelne Sitzschalen aus Plastik zu installieren (letztes Foto) oder absichtlich unbequeme, durch Griffe oder Metallbügel unterbrochene Bänke, auf denen sich Obdachlose nicht ausstrecken können. In Südfrankreich haben das Perpignan und Toulon 2015 und 2017 auch mit den Bänken im Stadtraum versucht und damit erheblichen Protest ausgelöst. Wer die Augen aufhält, wird in unseren modernen Großstädten auch anderswo »feindliches Design« finden, das bestimmte Aktivitäten verhindern und verunmöglichen soll – das Sitzen auf Pollern, das Skaten über Geländer, das Übernachten unter Brücken: So werden bestimmte Menschengruppen aus dem öffentlichen Raum verdrängt.
Kleine Dinge im Stadtraum: Woran erkennt man auf einem Foto, dass es sich um Paris handelt, auch wenn kein bekanntes Wahrzeichen zu sehen ist? An den unscheinbaren, aber ubiquitären Objekten, die sich seriell über die ganze Stadt verteilen: Abfallbehälter, Poller und Straßenlaternen, an den »Fontaine Wallace« genannten Wasserspendern, Baumschutzscheiben und Gullydeckel, Stadtmobiliar wie Bänke, ja sogar am Straßenpflaster, Gehwegsteinen oder Hausnummernschildern lässt sich Paris identifizieren. Über die Rolle von solchen Details im öffentlichen Raum – vom Kiosk bis zur Anschlagsäule – geht es im Buch »Bedeutsame Belanglosigkeiten« des italienischen Stadtwissenschaftlers und Architekturhistorikers Vittorio Magnago Lampugnani.