NEUE SACHBÜCHER IM FRÜHJAHR 2025
Frisches Blattwerk im Frühjahr: Ein halbjährliches Ritual, auf das ich mich schon vorab freue, ist das Durchblättern der digitalen Vorschauen der Verlage. Anlässlich der Buchmesse in Leipzig begleiten die Literaturbeilagen der Zeitungsfeuilletons, Buchblogger und Kulturmagazine des Rundfunks ausgesuchte Neuerscheinungen mit Besprechungen, häufig aber mit Schwerpunkt auf der Belletristik. Die unendlich große Produktion an Romanen und Lyrik, Kinderbüchern und Ratgebern, Krimis, Fantasy- und Romance-Lesefutter habe ich nicht gesichtet, sondern mir nur aus den Frühjahrsvorschauen Sachbuchtitel vorgemerkt, die ich lesen möchte – eine ganz persönliche Auswahl, die nur meinen Interessen folgt. Alle Zitate stammen aus den Vorschautexten.
Gesellschaft und Geschichte: In der Reihe »Fröhliche Wissenschaft« erscheinen nachdenkliche Betrachtungen in knapper Form, so im Frühjahr ein Band über Mauern, Lager, Slums. Kein anderes Thema beherrscht im globalen Norden die politische Diskussion und Wahlkämpfe so wie Flucht und Migration. Christian Welzbacher nähert sich in seinem Essay den Strukturen der Abschreckung und stellt unbequeme Fragen: »Welchen Kalkülen folgen Camps, Mauern, Flüchtlingsunterkünfte und Grenzsicherungsanlagen? Wer schlägt Profit daraus?« (Feb., Matthes & Seitz).
»Ohne Wasser kein Leben, ohne Wasser keine Zivilisation«: Die Suche nach Wasser dient Virginia Mendoza als Leitfaden für »eine Menschheitsgeschichte« im Zeichen der Auswirkungen von Dürre, Durst und Wasserknappheit (März, Insel Verlag).
Buchhandel und Literatur: Mit Sand im patriarchalen Getriebe erzählt Doris Hermanns die »Geschichte der Frauen-Buch-Bewegung«. Nahezu zeitgleich zur Gründung erster Frauenbuchläden im Jahr 1975 entstanden auch die ersten Frauenbuchverlage in Deutschland. Die Autorin blickt aber ebenso auf die Entwicklung in Österreich und der Schweiz und zeigt die internationale Vernetzung mit feministischen Buchmessen, Frauenbuchwochen, Rezensionszeitschriften und Frauenliteraturpreisen (März, Aviva Verlag).
Um Frauen und Literatur geht es auch bei der französischen Autorin Alice Zeniter, die sich in Eine ganze Hälfte der Welt – in der Nachfolge von Ruth Klüger und Tillie Olsen – mit Autorinnen, Leserinnen und fehlenden Heldinnen beschäftigt (Mai, Berlin Verlag).
Dem eigenen 200-jährigen Jubiläum gewidmet ist die »etwas andere Festschrift« des Börsenvereins Zwischen Zeilen und Zeiten, herausgegeben von Christine Haug und Stephanie Jacobs. Knapp 70 Beiträge handeln von »Erfolgsgeschichten ebenso wie von Pleiten«, gelten Themen wie »Zensur und Lektürekonjunkturen, Erholungsheimen für Buchhändler, Razzien der Gestapo, Abrechnungsfinessen und pompösen Festen« (März, Wallstein Verlag).
Biografisches und Autobiografisches: Der Vergewaltigungsprozess in Avignon erschütterte die Welt. Mit der Devise »Die Scham muss die Seite wechseln« machte Gisèle Pelicot ihren Fall öffentlich und wurde zur Ikone des Kampfs gegen sexualisierte Gewalt. Ihre Tochter Caroline Darian beschreibt im angekündigten Buch Und ich werde dich nie wieder Papa nennen, wie zerstörerisch sich das Verbrechen auf die Familie auswirkte, beschreibt tagebuchartig, »wie sie ihre Mutter beschützen will und zugleich mit Angstzuständen kämpft. Wie aus dem geliebten Vater ein brutaler Vergewaltiger wurde. Wie sie ihrem Sohn erklärt, dass er keinen Großvater mehr hat« (Jan., Kiepenheuer & Witsch).
Im österreichischen Molden Verlag erscheint eine schön gestaltete Biografien-Reihe, in der die Kunsthistorikerin Mona Horncastle bereits Josephine Baker porträtierte. Mit Peggy Guggenheim stellt die Autorin in ihrem neuen Buch die reiche amerikanische Sammlerin als »Freigeist, Mäzenin, Femme Fatale« und »Enfant terrible der Kunstszene« vor (Feb., Molden Verlag).
Kulturgeschichte und Kulinarik: Vom »Zauber einer Farbe« berichtet Björn Vedder in Rosa. Ob so ein Buch »ein Lichtblick in wenig rosigen Zeiten« ist, kann erst die Lektüre ergeben, doch Anknüpfungspunkte gibt es viele, vom Pink Panther über Edith Piafs »La vie en rose« bis zu Barbie (bereits lieferbar, HarperCollins).
Im selben Verlag erzählt die Anthropologin Kaori O’Connor in Ananas die »Geschichte eines Aufstiegs« zur begehrtesten Frucht der Welt – »früher kostbar wie Gold, heute Star der Popkultur«. Ob die Autorin wohl auch den Ananas-Salat aus der Recherche du temps perdu von Marcel Proust darin erwähnt? (Juni, HarperCollins).
Obwohl ich häufig im Le Moissonnier essen war und sogar auf dem Cover eines der Kochbücher zu sehen bin, habe ich es zu Stammgast-Status nie gebracht. Also bin ich neugierig auf Ein Tisch am Fenster, die Erinnerungen des Kölner Gastronomen Vincent Moissonnier an die vier Jahrzehnte mit seinem Restaurant. Es geht aber nicht nur um auffällige Gäste, sondern auch um den langen Weg von der Existenzgründung bis zum Erfolg und um die Arbeit in einer Sterneküche (März, Kiepenheuer & Witsch).
Für die Reihe »Kleine Gourmandisen« aus dem Wiener Mandelbaum Verlag habe ich hier schon häufiger getrommelt. Nach meinem eigenen Band über Buchweizen erscheinen jetzt im Frühjahr unter anderem die beiden Titel zu Senf (von Petra Kolip) und Linsen (von Roland Tauber) (März, Mandelbaum Verlag).
Ein schräges, aber ausgesprochen spannendes Nischenthema ist Frauen vor Mustern und ich gratuliere der Autorin und dem Verlag zum Mut, dem Bildmotiv ein ganzes Sachbuch zu widmen. In ihrem Essay spürt Anke te Heesen diesen Frauen-Zimmern nach: »Frauen werden in bürgerlichen Innenräumen vor Mustern inszeniert. Sie sitzen oder liegen dabei vor gereihten Ornamenten, die auf Tapeten, Vorhänge oder Stoffe appliziert sind« – ein bildlicher Ausdruck des Spannungsfelds »zwischen Geborgenheit und Einsamkeit, Autonomie und Einschluss« (März, Wagenbach).