FLORENCE HAZRAT: DAS AUSRUFEZEICHEN

Eine rebellische Geschichte: Ein ganzes Buch über das Ausrufezeichen! Mehr als 200 Seiten zu einem Nischenthema? Aber wer sollte sich sonst für so ein Thema interessieren, wenn nicht ein Typografie-Fan wie ich! Und erfreut habe ich beim Lesen festgestellt, dass es hier kaum um Grammatik geht und ganz viel um die Interpunktion in Popkultur, Kunst und Literatur, in der Geschichte und der digitalen Gegenwart. Beachtlich viel Erstaunliches hat die Autorin ausgegraben, angefangen von der britischen Richtlinie für Lehrer, Schüler schlechter zu benoten, die exzessiv »exclamation marks« verwenden, über Ausrufezeichen im politischen Wahlkampf bis zu ihrem inflationären Gebrauch in den Social Media. In den Passagen zur Typografie geht es unter anderem um das Heer an Interpunktionszeichen, das Schriftgestalter und Grafiker schon seit der Renaissance entwarfen. Darin macht man so erstaunliche Entdeckungen wie das »Interrobang«, die Kombination von Frage- und Ausrufezeichen zur Kennzeichnung von Ironie. Neueren Datums sind die »Gefühlszeichen« des französischen Typografen Thierry Fétiveau und die »Typojis« des österreichischen Designers Walter Bohatsch.

Überraschung! Begeisterung! Bewunderung! Schock! Aufschrei! Das Buch der Literaturwissenschaftlerin ist all denen gewidmet, »die kleinen Dingen ihre Aufmerksamkeit schenken« und will aufzeigen, wo das viel geschmähte Ausrufezeichen überall seine Spuren hinterlassen hat und ein »differenzierteres Verständnis zur Funktionsweise von Ausrufezeichen in Sätzen und unseren Köpfen« entwickeln. Der natürliche Lebensraum des Ausrufezeichens ist das Papier, denn erfunden wurde es, um Stimme, Körpersprache und Gefühle von der Mündlichkeit in das geschriebene Wort zu übertragen und Anweisungen zum Tonfall zu geben. Das Geschichtskapitel zeigt das sich wandelnde Verständnis der Zeichensetzung, von Shakespeare-Ausgaben über das 18. und 19. Jahrhundert bis zur Schreibmaschine. Die Tastatur der 1867 in den USA erfundenen ersten tragbaren Schreibmaschine enthielt das Alphabet, die Zahlen, ein Dollarzeichen, einen Punkt und einen Gedankenstrich – aber kein Ausrufezeichen!

Interpunktionsmuster: Interessant sind die Abschnitte zur Literatur, denn ob Grammatiken oder Handbücher, »alle, die uns vorschreiben wollen, wie wir zu reden und zu schreiben haben […], beunruhigt der nicht zu kontrollierende Reichtum der Sprache, ihre Neigung zu Exzess und Anarchie, ihre Unterwanderung ordentlicher Kategorien«. Auswertungen zeigen etwa bei der Zahl verwendeter Ausrufezeichen auf 100.000 Zeichen eklatante Unterschiede, beispielsweise zwischen Ernest Hemingway und Toni Morrison. Florence Hazrat weist daraufhin, dass bei der Analyse jedoch vieles mehr berücksichtigt werden muss – die Länge der Sätze, Motive und Themen, die unterschiedlichen Erzählstimmen beispielsweise. Und den Einfluss der Lektoren, denn es ist nicht immer herauszufinden, ob die Schriftsteller die Ausrufezeichen in ihren Texten überhaupt selbst gesetzt haben… Diesem spannenden, faktenreichen Buch einer klugen Autorin gelingt die Ehrenrettung eines oft mit schlechtem Stil gleichgesetzten Satzzeichens.

 

Florence Hazrat, Das Ausrufezeichen. Eine rebellische Geschichte, aus dem Englischen von Stephan Pauli, Harper Collins, Hamburg 2024