TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: MONUMENTAL-VERSALIEN IN STUTTGART

Die Leuchtreklame: Wer bei Stuttgart auf der A8 unterwegs ist, unterquert eine gewaltige Stahlkonstruktion. Und den zweitgrößten Schriftzug der Welt nach dem überdimensionalen (unbeleuchteten) HollywoodSign! Denn an den beiden Längsseiten des brückenartigen Messeparkhauses prangen direkt über den Fahrbahnen insgesamt 55 Meter breit die großen Bosch-Schriftzüge. Jeder der acht Meter hohen Buchstaben wiegt rund vier Tonnen, das zugehörige Logo »Anker im Kreis« sogar zwölf Tonnen. Längst eine Landmarke wie die Bayer-Leuchtreklame bei Leverkusen passt sich die Leuchtstärke des gigantischen Schriftzugs automatisch den jeweils herrschenden Licht- und Witterungsverhältnissen an, um die Autofahrer nicht zu blenden. Rund 18.000 weiße und rote Leuchtdioden wurden für eine der größten Leuchteklamen der Welt installiert. 1921, als das Unternehmen die Wortmarke »Robert Bosch« einführte, entschied man sich nicht für Großbuchstaben, sondern für einen einige Jahre zuvor entworfenen Pinselschriftzug mit leicht aufsteigenden Kleinbuchstaben nach dem B. Erst Mitte der 1950er-Jahre löste ein Schriftzug in Majuskeln die Pinselschrift ab.

Betretbare Buchstaben: Als die Bosch-Schriftzüge anlässlich der jährlich anstehenden Reinigung 2018 auch eine neue Oberfläche erhielten, konnte man aus dem »Stuttgarter Nachrichten« erfahren, dass sich das Innere der Buchstaben betreten lässt. Doch die schmale Tür an der Rückseite des Bs steht nicht jedem Besucher offen – über den Schlüssel zu diesem »ganz besonderen Rotlichtbezirk« verfügen wohl die Lichttechnikexperten in der Bauabteilung von Bosch. Im Innern erlauben Stufen, Leitern und Plattformen den Wartungsarbeitern, die Schrauben zu lösen, mit denen die Plane außen auf die Buchstaben gespannt ist. Denn was auf Fotos oder beim Autofahren wie eine feste Oberfläche wirkt, ist tatsächlich zwischen Konturen aus Stahlblech straff gespannte Plane wie bei Lastwagen, wie Reporterin Christine Bilger schreibt, die einen Blick in die Buchstaben werfen durfte.

Das Flughafen- und Messe-Parkhaus: Für Passagiere, Besucher und Mitarbeiter stehen rund um den Flughafen Stuttgart etwa 17.000 Parkplätze zur Verfügung – 1970 waren es gerade mal ein Zehntel davon. Zu den Flughafen-Parkhäusern und den Stellplätzen der Messe Stuttgart gehört auch das markante, aus zwei »Fingern« bestehende Bosch-Parkhaus mit Platz für rund 4200 Fahrzeuge. Der mehr als 400 Meter lange, brückenartige Bau spannt sich über ICE-Strecke und die A8, eine der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands. Den Tragwerksplanern zufolge muss man sich dabei ein Volumen von etwa 1500 Einfamilienhäusern auf einer Brücke vorstellen. Doppelt soviel Stahl wie im Pariser Eiffelturm – quasi in jedem Parkfinger einer – wurden bei diesem gigantischen Brückenparkhaus verarbeitet. Beeindruckend ist nicht nur der technisch innovative Ingenieurbau, der 2007 mit dem Europäischen Stahlbaupreis ausgezeichnet wurde. Spektakulär war auch die Montage des Parkhauses im sogenannten Taktschiebeverfahren. Um eine Behinderung der A8 möglichst auszuschließen, fanden die Verschübe über laufendem Verkehr statt – etwa sechs Meter pro Stunde ging es voran. Aufgrund der hohen Kosten und mangels Auslastung kritisierte der Rechnungshof Baden-Württemberg das aufwendige Brückenparkhaus.

Typografie überall! Eine ganze Schriften- und Schilderwelt tut sich für alle die auf, die die Augen offen halten. Schriftzüge und Buchstaben sind allgegenwärtig und prägen Orte auf subtile und doch eindrückliche Weise. Wer durch Deutschlands oder Frankreichs Städte streift, wandert durch Jahrhunderte des geschriebenen Worts. In den Straßen, auf Verkehrsmitteln, Ladenschildern, den Fassaden von Cafés und Restaurants, auf Mauern und Werbeplakaten: Jede Stadt hat ihre ganz eigene urbane Typografie. Selbst in Metropolen wie Paris, wo klassizistische Gemäuer auf immer mehr reflektierende Glasfassaden treffen, vermischen sich verblasste oder verwitterte Schriftzüge, Leuchtreklamen mit Kultstatus und Mosaikbuchstaben, historische Stadttypografie, traditionelle Restaurant- und Ladeninschriften mit urbaner Streetart und Graffiti, Neon-Zeichen und Werbeplakaten, modernen Markensignets und Leitsystemen zur Orientierung oder Texttafeln. Die Typografie im Stadtbild vereint dabei nostalgischen Retro-Charme mit stetem Wandel. Jeder Schriftzug erzählt dabei eine Geschichte, lässt Epochen und Moden erkennen. Leider immer seltener: Durch das Verschwinden älterer Buchstaben und Beschilderungen aus dem Stadtraum gehen auch Erinnerungen verloren… Schriftzüge verschwinden nicht nur aus dem Blick, sondern auch aus unserem Bewusstsein, beim Denkmalschutz spielen sie selten eine Rolle. Und durch den wirtschaftlichen Erfolg internationaler Konzerne und Ketten sind leider in immer mehr Städten nur dieselben Schriftzüge und Logos zu sehen.

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung eines Texts aus meinem Buch »111 Orte in Stuttgart, die man gesehen haben muss«

Stuttgart Parkhaus Schriftzug