TYPOTRAVELETTE UNTERWEGS: KREIDESCHRIFT IN PARIS
Kreide: Besonders pariserisch wirken auf mich die lässigen, aber lesbaren Beschriftungen der gläsernen Trennwände von Restaurants, denen gleich die Speisekarte abzulesen ist. Für die Beschriftung von Glas werden heute größtenteils Folienschriften verwendet, doch in Paris finden sich auch von Hand geschriebene (oder fast schon gemalte) Beispiele. Bio oder vegan? Dann gerne schlanke Großbuchstaben. Bistro? Handgeschrieben natürlich, trotz all der »Fenstertattoos«, »Folienplots« und »Beklebungsservices«, die es heutzutage gibt. Außerdem eigens Schriften für Speisekarten, Kalligraphie-Schriften und sogar »Kreide-Schriften für nostalgische Akzente«. Es sind diese »Kreide-Fonts«, die schon länger weltweit Konjunktur haben, emotional ansprechen sollen und Assoziationen an das Angebot von Cafés und Kneipen wecken sollen – ein wohliges Gefühl sei garantiert! Leider wuchert das international teilweise all zu dekorativ über Wände, Poster und Dekoartikel.
Chalkfonts: Weit verbreitet sind unbekümmerte, wie ohne großes Bemühen hingeschriebene Kreideschriften für handwerklich hergestellte Produkte und insbesondere in der Gastronomie, die handgeschriebene schwarze Angebotstafel im Coffeeshop steht für besondere Authentizität, Glaubwürdigkeit, Selbstgemachtes, Nachhaltigkeit, Regionalität … bitte ankreuzen. Naiverweise oder vermutlich doch zu Recht glaube ich, dass zwar nicht unbedingt Schaufensterbeschriftungen, aber doch zumindest die Speisekarten auf den Glasabtrennungen der meisten Pariser Cafés tatsächlich eigenhändig (mit einem Kreidemarker oder Flüssigkreide) aufgebracht wurden. Bei der »Belle Maison« mit stilisiertem Fisch frage ich mich angesichts der geraden Kanten allerdings doch, ob man das mit einem Kreidemarker so hinbekommt? Beachtenswert scheint mir die Vorliebe für die doch etwas aufwendigere Schattentypo bei der Schaufensterbeschriftung…
Typografie überall! Schriften und Beschilderungen sind allgegenwärtig und prägen Orte auf subtile und doch eindrückliche Weise. Wer durch Frankreichs Städte oder Dörfer streift, wandert durch Jahrhunderte des geschriebenen Worts. In den Straßen, auf Verkehrsmitteln, Ladenschildern, den Fassaden von Cafés und Restaurants, auf Mauern und Werbeplakaten: Jede Stadt hat ihre ganz eigene urbane Typografie. Selbst in Metropolen wie Paris, wo klassizistische Gemäuer auf immer mehr reflektierende Glasfassaden treffen, vermischen sich verblasste oder verwitterte Schriftzüge, Leuchtreklamen mit Kultstatus, historische Stadttypografie, traditionelle Restaurant- und Ladeninschriften mit urbaner Streetart und Graffiti, Neon-Zeichen und Werbeplakaten, modernen Markensignets und Leitsystemen zur Orientierung oder Texttafeln. Die Typografie im Stadtbild spiegelt die Geschichte Frankreichs auf eine ganz eigene Art wider und vereint dabei nostalgischen Retro-Charme mit stetem Wandel. Jeder Schriftzug erzählt dabei eine Geschichte, lässt Epochen und Moden erkennen. Leider immer seltener: Durch das Verschwinden älterer Buchstaben und Beschilderungen aus dem Stadtbild gehen auch Erinnerungen verloren… Schriftzüge verschwinden nicht nur aus dem Blick, sondern auch aus unserem Bewusstsein. Und durch den wirtschaftlichen Erfolg großer Konzerne und Ketten sind in immer mehr Städten nur dieselben Schriftzüge und Logos zu sehen. – so geht Vielfalt verloren.