TYPISCH LYON: LAMBREQUIN

Ein Blick nach oben: Als Fan von Guss- und Schmiedeeisen schenke ich dieser Handwerkskunst in den Städten Frankreichs gern ein besonderes Augenmerk, etwa den schönen Haustüren in Paris oder den Balkongittern und Türklopfern in Bordeaux. Aber obwohl ich auf historische Architekturdetails achte, sind mir die aufwändig verzierten Jalousienverkleidungen oben an den Fenstern in Lyon nicht gleich beim ersten Besuch aufgefallen, sondern erst jetzt, unterwegs für die nächste Auflage meines Lyon-Reiseführers. Was auf Deutsch Schabracke heißt (und leider im übertragenen Gebrauch negativ konnotiert ist), wird im Französischen als Lambrequin bezeichnet. Wenn man erstmal anfängt auf sie zu achten, entdeckt man die Zierblenden auf der Halbinsel zwischen Rhône und Saône und in den anderen Stadtvierteln mit Gründerzeitbauten in großer Vielfalt.

Sichtschutz und Verdunkelung: Der harmonische Eindruck der Lyoner Fassaden ist nicht zuletzt der einheitlichen Farbgebung zu verdanken, mit der gusseiserne Fensterbrüstungen und Lambrequins gestaltet werden. Auf den zweiten Blick stellt man fest, dass sie, ebenso wie die »garde-corps« (Absturzsicherungen) der Fenster nicht rein dekorativ sind, sondern eine Funktion als Jalousienverkleidung haben. Sie verbergen meist außen angebrachte Lamellenjalousen, die es erlauben, an heißen Sommertagen die Wohnung etwas zu verschatten, ohne die Sonnenstrahlen gleich ganz auszuschließen. Auch diese Holzjalousien, die sich dem ausgeprägten italienischen Einfluss seit der Renaissance verdanken, prägen das Stadtbild.

Denkmalschutz und Baukultur: Wunderschön – und enorm aufwändig und teuer, da fragt man sich, ob die Restaurierung Pflicht ist, schließlich zählt Lyon zum Unesco-Weltkulturerbe, ob es noch genug erfahrene Handwerker dafür gibt, was für neue Gebäude gilt und wer das alles bezahlt… Die Website Lyonembellissement gibt dazu erste Auskunft. Dort erfährt man, dass die Lambrequins aus Holz sein können, was sie oft bei den einfacheren Gebäuden vom Beginn des 19. Jahrhunderts und im Seidenweber-Viertel Croix-Rousse sind. Oft haben Holz-Zierblenden nur einen zackenförmigen oder geschweiften Abschluss, teils aber ebenfalls Lochmuster. Als erschwingliches Material blieb Holz lange populär, es verwittert aber leider bei mangelnder Pflege und wird unansehnlich. Lambrequins aus Gusseisen finden sich vor allem an den Bauten der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, vor allem im 3. und 6. Arrondissement. Neben Einzelanfertigungen für sehr wohlhabende Bauherren konnte man Modelle – je nach Fensterlaibung geschwungen oder rechteckig – aus Musterkatalogen aussuchen, bei metallverarbeitenden Unternehmen oder Fachhändlern wie Descours et Cabaud oder Simon-Perret Frères. Einige hochspezialisierte Traditionsunternehmen sind noch in diesem Nischenmarkt der Fenster- und Fassadenrenovierung in Lyon tätig (L’Atelier Jalouse, Jalousie du Rhône und Jalousie Lyonnaise beispielsweise).

Petit Patrimoine: In den 1930er-Jahren verschwanden die Lambrequins als Architekturelemente. Erst seit einiger Zeit sind Lambrequins aus Aluminium oder anderem lackierten Blech, deren Muster mit Laser ausgeschnitten werden, an Gebäuden aus dem 20. und 21. Jahrhundert wieder zu entdecken, etwa im 7. Arrondissement und in Villeurbanne. Die modernen Varianten verformen sich nicht durch Witterung wie Holz und rosten nicht, doch verändern auch sie die Anmutung einer Fassade gegenüber dem historischen Variantenreichtum, von der Belle-Epoque-Gestaltung, die fast wie Spitze wirkt, über ornamentalen Jugendstil bis zu friesartigen Mustern. Mit dem Aufkommen von innen oder außen angebrachten klappbaren Fensterläden und Rollläden aus Plastik verschwanden die dekorativen Zierblenden. Als lokale architektonische Besonderheit sind sie Bestandteil des »petit patrimoine« – so werden in Frankreich Kleindenkmäler bezeichnet – , und selbstverständlich dürfen sie auch auf dem berühmten Trompe-l’oeil-Fassadengemälde der Künstlergruppe Cité Création nicht fehlen (letztes Foto: Fresque des Lyonnais).

Freizeit am Fluss: Zu Beginn der 1990er-Jahre gab der »Plan bleu«, ein ganzheitliches Konzept für die Umgestaltung der Flussufer von Sâone und Rhône, als Empfehlung für die Fassaden entlang der Rhône ein möglichst einheitliches Farbschema vor: Grau für den Putz und Blau für die »métallerie«, die Balkon- und Fensterbrüstungen und Lambrequins. Wie viele andere Städte wandte Lyon seinen Flüssen jahrzehntelang den Rücken zu, die Uferstraße wurde gar zur Autobahn ausgebaut. Ende der 1990er-Jahre erkannte man das Potenzial der »blauen Adern« und die verschenkte Schönheit der kilometerlangen Quais. Mit erheblichem Aufwand schuf man am Flussufer eine grüne Trasse für Fußgänger und Radler, die mitten in der Stadt für mehr Sport- und Freizeitanlagen, Luft und Lebensqualität sorgt. Spazierwege statt Kaianlage, Park und Grün statt Parkplatz: Der Umbau der Quais von Lyon ist ausgesprochen gelungen. Schon vor mehr als zehn Jahren bekam die Stadt zwei internationale Preise für die Neugestaltung der Berges du Rhône, die 2007 eingeweiht werden konnten. Das spornte an, und nach dem Rhône-Ufer wurde und wird nun das Saône-Ufer zur 15 Kilometer langen Flaniermeile umgestaltet.

www.lyonembellissement.com

Lyon Lambrequin

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