SYLVIA BEACH: EIN BUCHLADEN IN PARIS – VOR 100 JAHREN ERÖFFNET

New York oder Paris? Aus dem Plan, in New York eine französische Buchhandlung zu eröffnen, wurde nichts. Im Jahr 1919 schickte Sylvia Beach ein Telegramm an ihre Mutter: »Opening bookshop in Paris. Please send money.« Die Ex-Pat-Amerikanerin, damals 32 Jahre alt, interessierte sich für die französische Gegenwartsliteratur und träumte von einem eigenen Laden. Ihre Freundin Adrienne Monnier brachte sie auf die Idee, statt im unerschwinglichen New York im preiswerteren Paris eine britisch-amerikanische Buchhandlung zu eröffnen und fand auch das Ladenlokal in der Rue Dupuytren für sie. Auch sie war Buchhändlerin, und ein paar Jahre später zog Beach mit »Shakespeare and Company« in die Rue de l’Odéon, wo Monnier bereits ihre »Maison des Amis des Livres« führte.

Vor 100 Jahren: Am 19. November 1919 eröffnete Sylvia Beach ihren Buchladen in Nummer 8 der Rue Dupuytren am linken Seine-Ufer. Genauer gesagt eine kleine Leihbücherei: »Ganz wie ich vorausgesehen hatte, war es in Paris viel leichter, Bücher zu verleihen als sie zu verkaufen.« Und tatsächlich, die Liste der Schriftsteller und Künstler, die bei »Shakespeare and Company« Bücher ausliehen, ist umfangreich: Ernest Hemingway, Gertrude Stein und Ezra Pound, Sergei Eisenstein, John Dos Passos, Man Ray, Djuna Barnes, Walter Benjamin, André Gide, George Gershwin, Scott Fitzgerald und Paul Valéry. In den zwei Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg war der Buchladen zugleich turbulenter Treffpunkt, Lesezimmer, Tauschbörse und Postamt der literarischen Community. »Von neun Uhr früh [..] bis spät am Abend, ja bis Mitternacht kamen und gingen Studenten, Leser, Schriftsteller, Übersetzer, Verleger, Reisende für Verlage oder auch einfach nur Freunde.«

Ulysses: Einen Platz in den Annalen der Literaturgeschichte erwarb sich Beach als erste Verlegerin des Meisterwerks von James Joyce. »Ulysses« war in Teilen in Zeitschriften in England und den USA erschienen, konnte in ganzer Länge aber nicht gedruckt werden, weil es als anstößig galt. Trotz ihres Mangels an Kapital und der Tatsache, dass das Buch in England und Amerika der Zensur unterliegen würde, machte sie sich unerschrocken an die legendär schwierige Veröffentlichung. Die nicht einfacher dadurch wurde, dass Joyce das Manuskript immer wieder umschrieb und noch auf den Druckfahnen in seiner unleserlichen Handschrift ergänzte und revidierte. 1922 erschien der 732 Seiten dicke Band, der für die Käufer in den USA einzeln aus Kanada ins Land geschmuggelt wurde, später verkleidet Beach das Buch mit Schutzumschlägen als »Shakespeares Gesammelte Werke in einem Band« oder »Heitere Geschichten für kleine Leute«.

Ernest Hemingway befreit Paris: 1941, während der deutschen Besatzung von Paris, hatte ein deutscher Offizier das Exemplar von »Finnegans Wake« aus dem Schaufenster kaufen wollen. Als Beach ihm das verweigerte, drohte er »bebend vor Zorn«, wiederzukommen und alle Bestände zu beschlagnahmen. Innerhalb von zwei Stunden räumt Sylvia Beach mit Hilfe ihrer Freunden den Laden leer: »Die Hausmeisterin schloss eine unbenützte Wohnung im dritten Stock auf«. Alles wird in Waschkörben hinauftransportiert, ein Anstreicher übermalt den Namen Shakespeare and Company an der Hausfront. Von da an blieb der Laden geschlossen, allerdings wurde Beach für sechs Monate in ein Internierungslager gesperrt und lebte danach versteckt in einem amerikanischen Studentinnenwohnheim. Ihre Erinnerungen enden mit den letzten Kriegstagen im Jahr 1944: Immer noch gibt es Schießereien in der Rue de l’Odéon, hinter den improvisierten Barrikaden zielen jungen Burschen aus der Résistance mit altmodischen Waffen auf deutsche Soldaten. Doch eines Tages, genauer gesagt am 26. August, halten mehrere Autos vor ihrer Haustür und eine Stimme ruft ihren Namen. Sylvia Beach stürmt die Treppen hinunter und Hemingway »hob mich hoch, schwang mich herum und küßte mich, während die Leute auf der Straße und in den Fenstern uns zujubelten.« Hier endet der Bericht, Hemingway und seine Kompanie machen sich auf den Weg, »um den Keller im Ritz zu befreien.« Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Sylvia Beach ihre Buchhandlung nicht mehr wiedereröffnet.

Rue de la Bûcherie: Die bei Touristen und in Paris lebenden Expats heute so beliebte Buchhandlung »Shakespeare and Company« am linken Seineufer – mit Blick auf Notre-Dame – erweist nicht nur im Namen der Vorgängerin eine Reverenz. Zehn Jahre nach der Schließung von Beachs Buchhandlung gründete George Whitman, wie Beach Amerikaner, seine Buchhandlung »Le Mistral« in der Rue de la Bûcherie. Als Hommage an Sylvia Beach benannte er sie nach ihrem Tod 1962 in Shakespeare and Company um. Heute führt seine Tochter, die Sylvia Beach Whitman heißt, das Geschäft. Auch das neue Shakespeare and Company war ein wichtiger Anlaufpunkt der Pariser Intellektuellenszene. In Beachs Buchhandlung ging die Lost Generation ein und aus, in George Whitmans Buchhandlung zog es die Beat Generation: Allen Ginsberg und Williams S. Burroughs, aber auch Julio Cortázar und Henry Miller gehörten zu den Kunden. Im Film »Before Sunset« (2004) mit Ethan Hawke und Julie Delpy spielt »Shakespeare and Company« eine zentrale Rolle und für Woody Allens »Midnight in Paris« (2011) diente das Buchgeschäft ebenfalls als Drehort. Eine weitere wunderbare Buchhandlung in Paris ist Galignani in der Rue de Rivoli, in Bordeaux kann ich Mollat wärmstens empfehlen, die größte unabhängige Buchhandlung Frankreichs mit eindrucksvollem Sortiment.

Shakespeare and Company Buchhandlung Paris

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