PARISER MÉTRO: DIE SITZE
Die Metro aufmöbeln: Bis heute werden die Sitzschalen aus Plastik in Rot, Blau, Orange, Gelb und Grün in Serie produziert und sind ikonischer Bestandteil der Pariser Metro. Aus den 1970er-Jahren stammt der Entwurf für den »siège coque« im sogenannten Stil Motte-Andreu (benannt nach den beiden Designern): Die Einzelsitze in verschiedenen Farben wurden auf gekachelten Podesten installiert oder in anderen Varianten auf Metallträgern. Bis Mitte der 1980er-Jahre erhielten hunderte von Metrostationen je nach Länge zwischen 20 und 100 Sitzen pro Quai. Die RATP, die Betreibergesellschaft der Pariser U-Bahn, bezeichnet die bis in die 1960er üblichen Bänke aus Holzlatten als eher rudimentäre Ausstattung und lobt die Verbindung von Komfort und Design der Plastiksitze: »Son design est remarquable avec une assise douce et confortable«.
Assis-debout: Ab 1985 kam der Entwurf der Agentur Ouï-dire zum Einsatz, Gewinner eines Wettbewerbs, die zwar wieder Bänke entwarf, doch fest montierte Armlehnen unterteilen die Metallflächen in einzelne Sitzplätze. Daneben gab es als »siège assis-debout« Anlehnsitze, auf denen man sich zwar etwas entlasten kann, de facto aber steht, nicht sitzt. Und seit 2000 gibt es eine runde Variante der Sitzschalen, genannt »A Kiko«, mit einer Öffnung in der Mitte, die ein Lächeln andeuten soll. Aus Sicht der RATP bietet sie denselben Vorteil wie die eckige Ausführung, nämlich sehr widerstandsfähig gegen Vandalismus und quasi unkaputtbar zu sein – »très facile d’entretien, il est solide, résistant aux brûlures, rayures, graffitis et efforts mécaniques«. Einige besonders gestaltete Stationen erhielten teils auch eigenständige Sitzmodelle, so die kupferverkleidete Station Arts et Métiers (Linie 11) elegant geschwungene Holzsitzen, die Station Cluny–La Sorbonne (Linie 10) wiederum Granitbänke.
Sitze statt Bänke: Unterschlagen wird dabei die Tatsache, dass sich auf den Bänken Menschen ausstrecken und schlafen konnten, was in der kalten Jahreszeit den »sans domicile fixe«, den Wohnungslosen der Hauptstadt, einen nicht ganz so lebensgefährlichen Schlafplatz verschaffte. Während der englischsprachige Begriff »hostile design« Klartext redet, kann das deutsche »defensive Design« nur als euphemistisch bezeichnet werden, denn eine solche Gestaltung von Stadtmobiliar soll Obdachlose fernhalten, ist eine feindselige bauliche Abwehrmaßnahme. Selbst im Rückblick wird diese Gestaltung ausschließlich positiv bewertet, als bessere »Verkehrsführung« ohne Hindernisse und Gestaltung aus einem Guss: »La banquette maçonnée [..] supprime les entraves de circulation et intègre l’ensemble du mobilier. Le flux des voyageurs est ainsi rendu plus fluide«. Weiter heißt es im französischen Wikipedia-Eintrag zum Stil »Andreu-Motte«: »L’assise offre l’avantage d’une grande fiabilité«. Inzwischen gibt es seit etwa zwei Jahrzehnten einen Aktionsplan, »Grand Froid« (Große Kälte) genannte Präventionsmaßnahmen, mit denen im Winter zusätzliche Unterkünfte bereitgestellt werden, wenn Temperaturen unter dem Gefrierpunkt zu erwarten sind. Doch für die rund 3500 Wohnungslosen auf den Pariser Straßen reicht das nicht. Im Jahr 2023 starben in Frankreich 735 Obdachlose – mehr als jemals zuvor (Zahlen: Collectif des morts de la rue).