JUDITH MACKRELL: FRAUEN AN DER FRONT

Nachrichten in Kriegszeiten: In ihrem Buch »Frauen an der Front« folgt Judith Mackrell den spannenden Lebenswegen von sechs außergewöhnlich mutigen Frauen, die kein Risiko scheuten, um aus dem Zweiten Weltkrieg zu berichten – Virgina Cowles, Martha Gellhorn, Clare Hollingworth, Helen Kirkpatrick, Lee Miller und Sigrid Schultz. Der Autorin gelingt es, eine chronologische Abfolge der Jahre 1933 bis 1946 mit biografischen Porträts mehrerer Kriegsreporterinnen zu vereinbaren. Von der Machtergreifung der Nazis bis zu den Nürnberger Prozessen reicht die historische Zeitspanne, während derer die Reporterinnen versuchten, mitten aus dem Zentrum der kriegerischen Ereignisse Storys und Fotos an die Zeitungen und Magazine in Großbritannien und Amerika zu liefern.

Karriere-Hürden: Die journalistische Arbeit wurde den Frauen von den Pressekorps des Militärs, Botschaftern und Generälen wie teils auch von ihren Herausgebern und Redaktionen nicht gerade leicht gemacht. Wenn den Reporterinnen überhaupt gestattet wurde, in die Nähe der Kampfzonen zu gelangen, durften sie meist nicht an die Front, sondern sollten in ihren Berichten lediglich die zivile Seite des Kriegs schildern und aus »weiblicher Perspektive« die Zustände in den Lazaretten und Luftschutzkellern beschreiben. Noch stärker als der Wunsch, die Reporterinnen aus der Gefahr zu halten, oder das Vorurteil, Frauen könnten »weder Blut sehen noch Brutalität und Schlachtgetöse ertragen«, war die Sorge, die Anwesenheit von Journalistinnen führe zwangsläufig zu Problemen mit den Soldaten. So waren die sechs Kriegsberichterstatterinnen häufig auf sich selbst gestellt, denn weder durften sie wie ihre männlichen Kollegen die Transportmöglichkeiten des Militärs noch die Unterkünfte, Fernschreiber und andere Einrichtungen der Armee nutzen. Angesichts der den Frauen auferlegten Restriktionen mussten sie also findig sein, informelle Kontakte nutzen und sich mit Einfallsreichtum durchmogeln: »Wenn sie dir keine Akkreditierung geben, dann geh trotzdem, jede kleine Lüge ist in Ordnung« (Martha Gellhorn). Erst in den letzten Kriegsmonaten gewährten die Alliierten einer beschränkten Zahl an Frauen gleichberechtigten Zugang zu Pressecamps und Briefings – der Mut ihrer Vorkämpferinnen hatte Wirkung gezeigt.

Materialreiche Darstellung: Wie für gründliche Recherche üblich gibt Mackrell in Anmerkungen und Bibliografie ihre Quellen an. Dass die Autorin ausdauernd Autobiografisches und Geschichtsbücher über den Kriegsverlauf gelesen, Archive durchforstet, Tonbänder abgehört und Sekundärliteratur konsultiert hat, zeigt sich auf jeder Seite. Doch sie bleibt oft sehr eng am Original, auch jenseits der mit Fußnoten versehenen Zitate wird viel weiteres Material für das paraphrasierende Schreibverfahren verwendet, die biografischen Passagen aus nacherzählten Tagebuch-, Memoiren- und Briefeinträgen zusammenzusetzen. Da liest man dann solche Sätze: »Sigrid war so vertieft in ihre tägliche Arbeit, dass sie gar nicht merkte, wie ihr Chef Dick Little sich in sie verliebte.« Oder: Martha fühlte sich, »da sie nun in Frankreich weilte und ihre Jungfräulichkeit an einen brillanten Intellektuellen verlieren sollte, wie die Heldin eines modernen Romans.« Jedenfalls, wenn es sie nicht gerade inmitten von Granateneinschlägen am D-Day in der Normandie verblüfft, »dass sie selbst in diesem Inferno noch den süßen Duft von Sommergras roch«, oder sie »sich Gedanken über den hohen Stärkegehalt der Kriegskost« macht, »da sie sehr auf ihre Figur bedacht war«. Jenseits solcher Stellen, die ein Lektorat hätte streichen sollen, liest man anderes durchaus mit Gewinn, denn dankenswerterweise beendet die Sachbuch-Autorin ihr Buch nicht mit dem Waffenstillstand und der Kapitulation Deutschlands, sondern beschreibt beispielsweise auch die Traumatisierung der Kriegsberichterstatterinnen durch die Kriegserlebnisse und insbesondere den Besuch der Konzentrationslager sowie auch ihre Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, als alle Männer aus dem Krieg zurückgekehrt sind.

Biografischer Schreibstil: Mir ist es trotz des höchst interessanten Themas schwergefallen, das Buch konzentriert zu lesen, denn immer wieder stieß ich mich an der Entscheidung, alle porträtierten Frauen beim Vornamen zu nennen (aus demselben Grund habe ich eine Charlotte-Perriand-Biografie nach der Lektüre gleich wieder entsorgt), statt von Gellhorn, Miller, Hollingworth oder Kirkpatrick zu schreiben. Leider betrifft das jeden zweiten Satz, sodass die Lektüre wirklich holprig wird. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, in dem nur Bill, Bob und George Thema waren. Mir erscheint das als weniger respektvoll. Zumal die Autorin in ihrem Text Hemingway, mit dem Martha Gellhorn fünf Jahre verheiratet war, kaum jemals zu Ernest macht.

Schreierische Schlagzeilen? Gern hätte man noch etwas mehr über die Qualität und Art der Zeitungsartikel gelesen, die die Frauen schrieben, sowie auch über ein anderes höchst aktuelles Thema, das nur kurz angerissen wird. Bekannte Zitate wie »Wenn der Krieg ausbricht, ist das erste Opfer die Wahrheit« oder »Public opinion wins war« deuten schon an, dass die besondere Rolle von Medien in Kriegszeiten auch Fragen nach Objektivität und Betroffenheit, Faktentreue und Zensur aufwirft. So heißt es an einer Stelle über Helen Kirkpatricks Besuch im KZ-Durchgangslager in Romainville: »Die Regeln der Zensur und des Anstands verboten ihr, Madame Lewulis’ Folter in allen Details zu schildern«. Krieg ist nicht nur immer von Propaganda begleitet, sondern Kriegsberichterstattung zur Geheimhaltung militärischer Informationen der Zensur unterworfen, Journalisten sehen sich daher vornehmlich mit offiziellen Verlautbarungen konfrontiert.

 

Judith Mackrell, Frauen an der Front. Kriegsreporterinnen im Zweiten Weltkrieg, aus dem Englischen von Susanne Hornfeck und Sonja Hauser, Insel Verlag, Frankfurt 2023