GEHT DOCH! MEHR PLATZ FÜR FUSSGÄNGER

Bundesweite Fußverkehrsstrategie: rokratischer Begriff. Wichtige Sache! Und worum geht‘s? Was man dagegen tun sollte, dass den Fußgängern immer weniger Platz in den Städten bleibt. WelcheDefiziteder Stadt- und Verkehrsplanung man gezielt gegensteuern müsste. Denn leider spielt der »Fußverkehr« in Deutschland nur eine nachgeordnete Rolle. Ein Beitrag mit dem Titel »Platz da« in der Süddeutschen Zeitung von diesem Wochenende (15. Dezember 2018) widmete sich dem »Mobilen Leben« in Leipzig, wo es seit knapp einem Jahr einen »Fußverantwortlichen« gibt, und bezog sich dabei auch auf die Studie des Umweltbundesamts: »Geht doch! Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie« unter Federführung von Uta Bauer, Martina Hertel und Lisa Buchmann, zwei Diplom-Geografinnen und einer Umweltwissenschaftlerin.

An den Rand gedrängt: Der Artikel in der SZ weckte nicht nur gleich mein Interesse, sondern auch unschöne Erinnerungen. Als Autorin mehrerer Paris-Reiseführer kann ich zwei Dutzend Gründe aufzählen, warum die französische Hauptstadt eine Reise wert ist, aber wenn es um die Nachteile geht, stehen mir sofort die schmalen Bürgersteige bildhaft vor Augen, zugeparkt, doch auf die befahrenen Straßen auszuweichen ist auch nicht ratsam. Wenn dann noch Tag der Müllabfuhr im Viertel ist und alle Tonnen vor die Tür gerollt wurden, ist kein Durchkommen mehr. Meine Erinnerungen sind Stressmomente, statt entspannt zu bummeln, schaut man sich wie ein gehetztes Kaninchen dauernd um, von wo Gefahr droht.

Plan piéton: Inzwischen kann man sich in Frankreich einiges abschauen, das Bewusstsein hat sich geändert. Mancherorts scheint angekommen zu seindass Lebensqualität in den Städten auch davon abhängt, Fußgängerurbanen Raum zu geben. Straßburg gab die Ill-Ufer zwischen Zentrum und Krutenau den Fußgängern zurück, schon seit 2012 gibt es dort eine »stratégie piéton«. Paris unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo zog nach, erst wurde das linke, dann auch das rechte Seine-Ufer autofrei, doch die Maßnahmen reichen noch viel weiterEinem Artikel in Le Monde zufolge werden in Paris 52 Prozent der Wege (Institut d’aménagement et d’urbanisme) zu Fuß zurückgelegt, in deutschen Städten dagegen nur 27 Prozent. Bordeaux verbannte Autos sogar fast aus der gesamten Innenstadt, und in gleichem Maße mit der Konsequenz der Stadtplaner wuchs die Beliebtheit der Stadt. Und das sind nur Städte, die ich gerade besucht habe. Nach Genf in der Schweiz, Vorreiter mit einem »plan piétons« im Jahr 1995, haben auch andere Metropolen wie London, Wien und New York ihre Strategie geändert, um für Fußgänger wieder attraktiver zu werden.

Platz da: Wer (emissionsfrei und platzsparend) zu Fuß geht, tut Gutes für seine Gesundheit, spart Geld und schont die Umwelt. Und eine dezidierte politische Strategie, Fußgängern als Verkehrsteilnehmern wieder mehr öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen, wäre auch ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Verkehrswende, nachhaltige Mobilität und attraktivere StädteSaubere Luft, mehr Platz, weniger Lärm, besserer Klimaschutz – all das wären Begleiterscheinungen, so es gelänge, den Anteil des »Fußverkehrs« von derzeit etwa einem Viertel auf die Hälfte aller kurzen Wege zu erhöhen. Im UBA-Texte-Band legen die Fachfrauen auf fast 50 Seiten dar, wie »Walkabilitiy« umsetzbar wäre. Ihre Forderungen leuchten mir als Fußgängerin ein, der großen Mehrheit erscheinen sie vermutlich als radikal und unzumutbar. So empfiehlt die Studie eine Gehwegbreite von mindestens 2,5 Meter, längere Ampelphasen für Fußgänger und eine Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 innerorts. Außerdem soll der Raum für Parkplätze verringert werden: Von derzeit etwa 4,5 Quadratmeter pro Einwohner auf 3 Quadratmeter, perspektivisch sogar auf 1,5 Quadratmeter. Das allerdings ist die Heilige Kuh der Politik in Deutschland, die nicht angegangen wird. Doch genau das planerische Leitbild der vergangenen Jahrzehnte – die autogerechte Stadt – macht Deutschlands Städte so unattraktiv.