FRANKREICHS MARKTHALLEN: MENTON

Fin de siècle: Die schöne Jahrhundertwende-Halle am Quai de Monléon ist gar nicht zu übersehen, und mit ihrem senfgelben Putz, dem rötlichen Ziegelmauerwerk und den grünen Fensterläden passt sie sich gut ins Stadtbild von Menton ein, wo die Farbpalette der Fassaden von Gelb über Orange und Rosa bis zum dunklen »sardischen« Rot reicht. Allerdings verrät der bis auf ein paar Palmen recht kahle Vorplatz heute nicht mehr, dass sie zur Bauzeit noch an der Uferpromenade und damit direkt am Meer stand, wie historische Fotos zeigen. Wochenmärkte und Markthallen ziehen mich unwiderstehlich an, ob in Frankreich oder anderswo, also nichts wie hinein! (An der Côte d’Azur lohnen auch die Märkte in Nizza, Cannes und Antibes.)

Mentoner Küche: Schon die lokalen kulinarischen Spezialitäten – Tarte au citron, Barbajuans (mit Mangold gefüllte Teigtaschen), Pichade (eine Tarte mit Tomaten, Sardellen und Oliven), Socca und Panisse (Fladen und frittierte Happen aus Kichererbsenmehl), Petits Farcis (kleine gefüllte Gemüse) – zeigen, dass die Einwohner der Stadt an der französischen Riviera Genuss zu schätzen wissen. Selbstverständlich gibt es in der Halle auch frische Pasta und italienische Spezialitäten, schließlich liegt die Grenze in Sichtweite. Überraschend ist eine erstaunliche Käseauswahl, gleich mehrere Stände konkurrieren hier um das beste Angebot. Die Markthalle ist täglich vormittags geöffnet; je nach Jahreszeit und Wochentag kommen noch ein bis zu zwei Dutzend weitere Händler mit Obst und Gemüse, Oliven, Blumen und anderem hinzu, die ihre Stände außen drumherum im Schatten der großen Markisen aufstellen.

Tendenzen einer neuen Zeit: Nachdem der in Menton geborene Adrien Rey (1865–1959) in Nizza und Paris seine Ausbildung absolviert hatte, baute der Architekt vor allem in Nizza und Menton, darunter Wohngebäude, heute teils denkmalgeschützt wie das Palais Meyerbeer in Nizza, aber auch ein Museum, das Kaufhaus »Aux Dames de France« und die Markthalle in Menton. Während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit passte er seine Entwürfe dem sich wandelnden Zeitgeschmack an, vom opulenten Dekor der Belle Epoque über die ornamental-organischen Formen des Jugendstils bis zum Art-Déco. Für die Markthalle aus dem Jahr 1898 entschied er sich für die damals moderne mehrfarbige Gestaltung von Bauwerken mit Zierelementen aus Keramik und nutzte technologische Fortschritte, indem er die noch neue Konstruktionstechnik mit Stahlträgern einsetzte.

Ein echter Hingucker: Beim Umrunden der Markthalle fallen die bunten Keramikelemente an der Fassade gleich auf. Geschaffen wurden sie von der in Menton ansässigen Faïencerie Saïssi. 1873 hatte der in Menton geborene Joseph Saïssi (geb. 1851) die Manufaktur im Borrigo-Tal gegründet, der sein Handwerk in der Lombardei und im Piemont erlernt hatte. Schon bald arbeiteten so gut wie alle Architekten mit ihm zusammen, die an der Côte d’Azur beispielhafte Bauten schufen. Zwischen 1880 und 1930 war es in Mode, Fassaden mit dekorativen Keramikelementen zu schmücken oder zu gliedern – mit horizontalen Gesimsen oder senkrechten Elemente wie Lisenen und Pilaster, ob als Fliesen, glasierte Ziegel oder Formsteine. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sein Sohn (oder Bruder?) Henri die Produktion fort, beide wurden auf Handwerk- und Gewerbeausstellungen mit einer Goldmedaille ausgezeichnet (1900 und 1925). Zeitweise beschäftigte das florierende Unternehmen rund 100 Arbeiter. Wer danach Ausschau hält, wird Saïssi-Keramik auch an den Grandhotels Riviera Palace, Winter Palace und Orient Palace in Menton entdecken, in Monaco am Kasino und den Hotels Hermitage und Métropole, in Nizza an der russischen Kirche … Ferdinand Bac und Vicente Blasco Ibañez gaben die Keramik für ihre Gärten (Jardins des Colombières und Jardin de Fontana Rosa) in Menton in Auftrag. Doch nach und nach wurde Architekturkeramik unmodern und nach der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre mussten die Faïences Saïssi 1933 schließen.

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