SONIA MIKICH: AUFS GANZE

GASTBEITRAG VON DR. CHRISTOPH FISCHER: Zunächst ist man skeptisch, besser: ich bin immer skeptisch, wenn Fernsehmenschen die Liebe zum Schreiben entdecken. Ganz besonders, wenn es sich um Fernsehmenschen handelt, die man sehr schätzt. Und die in ihrer Karriere zu Figuren gewachsen sind, die man als prägend, als stilbildend bezeichnen muss.

Sonia Mikich zählt für mich ohne jeden Zweifel zu dieser Kategorie. Eine aus »scheckiger Familie«, wie sie erzählt, »Scheidungswaise, Britin, Halb-Serbin«, die vielleicht gerade deshalb zu einer richtungsweisenden Fernsehjournalistin in Deutschland werden konnte. Auslandsreporterin, Kriegsberichterstatterin, Moderatorin, Chefin von Monitor und schließlich Chefredakteurin des Westdeutschen Rundfunks, eine Karriere, die man sich besser nicht malen kann, eine »Bilderbuchkarriere«, aber eine, die an jeder Position Kampf bedeutete. Darüber kann man Bücher schreiben, muss man vielleicht nicht, aber Sonia Mikich hat das glücklicherweise getan. Denn schreiben kann sie auch.

»Aufs Ganze« ist der Titel, ein Buch, das man lesen sollte. Besseres kann man von einem Buch nie sagen. Sonia Mikich hat aus Tschetschenien berichtet, aus Afghanistan, aus Ex-Jugoslawien und den USA. Auch deshalb konnte sie zu einer Chefredakteurin werden, die zuhört, Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen ernst nimmt. Denn nur wer buchstäblich »an der Front« war, kann journalistische Werte einschätzen und beurteilen, wer wie »von der Front« berichtet, kann kritisch sein in einem kritischen Magazin wie »Monitor«, das Programmverantwortliche, oft die »Ichlinge« der ARD, zeitlich begrenzten und in Richtung Mitternacht im Programm schoben, weil es angeblich nicht mehr die Quote bringt, die im Fernsehen notwendig scheint, um journalistisch ernst genommen werden zu können. Was für ein Unsinn! Als wären Zuschauerinnen und Zuschauer bloße Rezeptionisten, Leute, denen man kein Urteil zutraut.

Gerd Ruge war einer ihrer größten Förderer, was kann einem eigentlich Besseres passieren? Aber es nutzt eben auch nur dann, wenn man selbst bereit ist, eine herausragende Journalistin zu werden. Sonia Mikich – manche im WDR schrieben bis zuletzt ihren Namen (vorsätzlich?) falsch – blieb trotzdem eine Einzelgängerin, vermutlich geht das nicht anders. Die ihren Weg fand aus einer turbulenten Kindheit in England, Jugoslawien, im Ruhrpott und am Niederrhein, bei der Aachener Zeitung volontierte, studierte und dann journalistisch machte, was sie für richtig hielt.

Der Anfang des Buches gelingt nicht durchgehend, die stärksten Passagen auf 300 Seiten sind die beruflichen – Geschichten über prägende Stationen des Lebens einer Fernsehjournalistin. Nachvollziehbar, dass Patti Smith eine ihrer Leitfiguren ist, Pop und Politik sind der Vollblutjournalistin Mikich Lebensinhalt. Wie konsequent, dass nach der Karriere Griechenland zur Heimat einer Heimatlosen wurde. Mit Helge Malchow und Lisa Ruge als vermutlich entscheidende Beratungsinstanz, ist das Buch bei Kiepenheuer&Witsch erschienen. Der Verlag kündet im Klappentext eine »Achterbahnfahrt« durch ein Leben an. Die übliche Übertreibung, dachte ich. Ist es aber keineswegs. Es ist ein Buch einer großen, stilprägenden Fernsehjournalistin – nicht nur für Journalistinnen und Journalisten.

Sonia Mikich, Aufs Ganze. Die Geschichte einer Tochter aus scheckigem Haus, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022