AUSSTELLUNG IN FRANKFURT: NIKI DE SAINT PHALLE
Nicht verpassen! Nur noch bis zum 21. Mai, wenn die Ausstellung nicht verlängert wird, sind in der Frankfurter Schirn noch Werke der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930–2002) aus unterschiedlichen Schaffensphasen zu sehen. Etwa ein eigenwilliger, mit farbigen und spiegelnden Mosaikscherben besetzter Totenkopf mit vergoldetem Gebiss aus dem Jahr 1990. Das Innere des Schädels ist komplett blau, lässt sich betreten und lädt mit einer Bank zum Meditieren und Nachdenken ein. Wer es nicht mehr nach Frankfurt zur Retrospektive schafft: Werke von Niki de Saint Phalle sind im MAMAC (Musée d’Art Moderne et Contemporaine) in Nizza und im Sprengel Museum in Hannover zu sehen.
Runde Frauen: Die fröhlichen Nanas entstanden ab Mitte der 1960er-Jahre. Damals galten die farbenfrohen Plastiken mit betont üppigen weiblichen Formen als skandalös, zugleich begründeten sie die internationale Karriere von Niki de Saint Phalle und gelten heute als ihr Markenzeichen. Mit mächtigen Oberschenkeln, ausladenden Hinterteilen, gerundeten Schwangerschaftsbäuchen und prallen Brüsten machen die archetypischen Frauengestalten Kopfstand oder tanzen, sie vermitteln eine lebensbejahende Freude an der Bewegung: »Sie sind glücklich, weil sie frei sind; sie tun, was sie wollen.«, zitiert einer der Wandtexte Saint Phalle über ihre Nanas. Das umgangssprachliche »nana« bezeichnete im Französischen eigentlich eine Frau aus männlicher Perspektive, eine »Schnecke«, »Mieze« oder »Tussi«. Mit dem Motto »Alle Macht den Nanas« dreht Niki de Saint Phalle die Bedeutung selbstbewusst um. Durch ihre Auseinandersetzung mit feministischen Themen, weiblicher Identität und einer patriarchalen Gesellschaft in den 1960er-Jahren hatte sie Teil an einem neuen Frauenbild, stellte Rollenbilder, vorherrschende Konzepte des Weiblichen und gesellschaftliche Konventionen infrage, auch wenn sie sich nicht als aktiven Teil der Frauenbewegung bezeichnete.
Voluminös und überlebensgroß sind auch die späteren Sitzfiguren, die viel schwerfälliger wirken, sich in zeltartige Gewänder kleiden und beim Nachmittagstee oder mit Lockenwicklern am Schminktisch gezeigt werden. »Tee mit Angelina« (1971) und »Die Körperpflege« (1978), mit denen Saint Phalle das Altern thematisiert, gehören zu Serie von Figuren mit dem Titel »Verschlingende Mütter«.
Mosaik- und Spiegelscherben: Manches Exponat hat man vielleicht schon mal gesehen, so kannte ich »La Toilette« aus dem Musée d’Art Moderne in Nizza, und die Nanas am Leibnizufer in Hannover hatten es mir schon als Jugendliche angetan. Aber im Zusammenhang einer Einzelschau entdeckt man garantiert neue Aspekte am facettenreichen Werk von Niki de Saint Phalle – für mich waren das diesmal nicht die Schießbilder, mit denen ihre befreite und befreiende Kunst ihren Anfang genommen hatte, noch die materialreichen Assemblagen, sondern die Arbeiten mit farbigen Mosaiksteinen und Spiegelscherben. Techniken und Arbeitsweisen zu wechseln, begriff die Autodidaktin als künstlerische Herausforderung. So experimentierte die Künstlerin mit Bruchstücken von Glas, Keramik und Spiegeln und verwendete das Material für dreidimensionale Arbeiten – in Frankfurt sind das Modell für den »Temple of all Religions«, ein »Spiegelobelisk« (1993) und der erwähnte Totenschädel zu sehen. Schon seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn faszinierten sie architekturale Skulpturen, etwa der Park Güell von Gaudí in Barcelona und der Palais idéal in Hauterive von Ferdinand Cheval (ob sie auch die begehbaren Skulpturen von Jean Dubuffet kannte, der ja auch mit Polyester arbeitete, weiß ich nicht). Nur zu gern würde ich jetzt nach näherer Beschäftigung die 1999 noch von der Künstlerin begonnene und nach ihrem Tod fertiggestellte Spiegelgrotte in den Herrenhäuser Gärten in Hannover sehen und ihren »Tarotgarten« in der Toskana, der heute als ihr Hauptwerk und Vermächtnis gilt.
Die Fotos zeigen eine »Nana Danseuse« (1995), nach ihrer Enkeltochter Bloum benannt, die 2014 vorübergehend am Seine-Ufer stand, die Fontaine Stravinsky in Paris und das »Monstre de Loch Ness« (1993) aus der Serie »Les Animaux Blessés«, das vor dem Museum für moderne Kunst in Nizza steht.
https://www.schirn.de/ausstellungen/2023/niki_de_saint_phalle/