PARISER INSELN: ILE SAINT-GERMAIN

Inselgrün: Vom rechten Seine-Ufer spaziere ich über eine breite Brücke auf üppiges Grün zu, und gemeinsam mit mir eine große Gruppe von Büromenschen in ihrer Mittagspause, in Sportklamotten, ihre Yogamatten unter den Arm geklemmt. Beide Flussufer an der Pont d’Issy sind dicht bebaut mit »Investorenarchitektur«, dieser weltweit so üblichen Mischung aus Bürotürmen, Wohnsilos und Verwaltungsgebäuden wie hier der Zentrale des Telekommunikationsunternehmens Orange. Die Hälfte der Insel dagegen nimmt ein 18 Hektar großer Park ein, willkommenes Stadtgrün inmitten von so viel Beton. Die Ile Saint-Germain liegt nicht offiziell im Pariser Stadtgebiet, denn sie gehört zu Issy-les-Moulineaux. Der Vorort mit rund 68.000 Isséens zählt mit einer Bevölkerungsdichte von knapp 16.000 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Orten Europas, ebenso wie Boulogne-Billancourt am rechten Ufer mit 19.674 Einwohnern pro Quadratkilometer.

Ile Saint-Germain: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Insel eine ländliche Idylle, die Ausflügler und Maler anzog (wie auch die Seine-Insel Ile de la Jatte). Im stillen Seitenarm lagen einst Wasch- und Badeschiffe am Ufer, wo heute Hausboote einigen »happy few« das Wohnen am Wasser ermöglichen. Doch mit der Industrialisierung und der wachsenden Verstädterung wuchs auch der Bebauungsdruck auf die Insel. Die für die Weltausstellung im Jahr 1867 hier auf der flussaufwärts gelegenen Hälfte installierten Ausstellungspavillons übernahm das französische Militär, auf dem flussabwärts gelegenen Teil brachte man in den 1930er-Jahren ausländische Gastarbeiter der benachbarten Renault-Werke unter. Im Zweiten Weltkrieg war dies ein gefährlicher Nachbar, denn da in der Fabrik auf der Ile Seguin statt Automobilen Panzer und Lkw für die Wehrmacht instand gesetzt und gefertigt wurden, war die Insel 1942 und 1943 Ziel britischer Bombardements, mit Kollateralschäden auf der Ile Saint-Germain. Trotz anderer Pläne für die Insel gelang es den angrenzenden Vorstädten Boulogne-Billancourt und Issy-les-Moulineaux gemeinsam mit dem Département Hauts-de-Seine, die Anlage eines Parks durchzusetzen, der 1980 eingeweiht und Mitte der 1990er-Jahre noch erweitert werden konnte.

Tour aux figures: Der 24 Meter hohe Turm, unverwechselbar ein Werk von Jean Dubuffet (1901–1985), wurde drei Jahre nach dem Tod des Künstlers auf einer Anhöhe im Park errichtet, den Standort hatte er selbst noch gutgeheißen. Der Entwurf, entstanden 1967, ist Teil des Werkzyklus »Hourloupe« aus den 1960er-Jahren, die der französische Maler und Bildhauer mit Zeichnungen und Grafiken begann und ab 1966 auf skulpturale Installationen aus Epoxidharz und Beton ausweitete. Seit er die synthetischen Materialien Polystyrol, Polyester und Epoxidharz entdeckte, nehmen seine räumlichen Arbeiten oft monumentale Dimensionen an. Es entstanden bemalte felsartige Gebilde wie im Park und begehbare Architekturen wie die Villa Falbala in Périgny, wobei sich Dubuffet auf die Farben Weiß, Schwarz, Rot und Blau beschränkte. Im Inneren des Turms, Gastrovolve genannt, führen unregelmäßige Stufen mit schwarz markierten Kanten als labyrinthische Treppe nach oben (seit der Restaurierung während der Pandemie mit Führung wieder zu besichtigen).

Der Park: Neben großen Rasenflächen und Spazierwegen, Spielplätzen und einem Poneyclub gibt es in der Grünanlage auch einige Themengärten: Der »Jardin antérieur« mit Obstbäumen erinnert an die ländliche Vergangenheit der Insel. Die »Jardins clos« sind von ummauerten Bereichen geschützt, im »Jardin des messicoles« dazwischen wachsen Wildkräuter, im »Jardin des graminées« Gräser, die »Jardins imprévus« lassen Platz für Wildwuchs. Am besten hat mir jetzt im Herbst der »Jardin des lavandes« gefallen, in dem nicht nur Lavendel wächst, sondern auch andere mediterrane Pflanzen mit grau schimmernden Blättern wie Salbei oder Olivenbäume.

Inselrestaurant: Stilvoll einkehren lässt sich im Gartenrestaurant L’Ile, einen Tisch hatte ich reserviert. Auf der Terrasse sitzt man unter einer Pergola zwischen üppigen Kissen oder auf Korbstühlen mitten im Grünen, drinnen im großen Wintergarten herrscht Belle-Epoque-Flair, im großen Gastraum mit der Bar sind weitere Tische unter der Empore verfügbar. Das Mittagsmenü ist qualitativ zwar nicht mehr als okay, aber ausgesprochen günstig kalkuliert – wer würde also über die Frischkäseterrine, das Rinderragout nach Omas Art und den wirklich guten Beerencrumble meckern wollen… Für das nonchalante Ambiente im französischen Landhausstil – alles sehr cosy und vor allem sehr instagrammable, im Mix&Match-Trend von Vasen und Topfpflanzen, Blumenstoffen und gemütlichen Polstermöbeln, starken Farben der Côte d’Azur und Pariser Chic – zeichnet die Pariser Interiordesignerin Laura Gonzalez verantwortlich, von der mir auch das Restaurant La Gare im historischen Bahnhof von Passy schon gut gefiel. Ihr spielerischer Eklektizismus, schreibt das Architekturmagazin AD, lasse den Alltag vor der Tür vergessen, »als befände man sich plötzlich in den Ferien oder in einem Traum und nicht mitten im hektischen Alltag der Großstadt.« Also genau das Richtige für ein Inselrestaurant im Grünen!

https://tourauxfigures.hauts-de-seine.fr

www.lauragonzalez.fr

www.restaurant-lile.com

www.ad-magazin.de/article/laura-gonzalez-im-stilportraet

Paris Ile Saint-Germain Tour aux figures Jean Dubuffet

Paris Ile Saint-Germain

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