RARITÄTEN VON DER WEIDE
Die Letzten ihrer Art: Viele alte Nutztierrassen sind vom Aussterben bedroht. Während die industrialisierte Landwirtschaft für die Fleisch- und Milchproduktion auf wenige Hochleistungsrassen setzt, verschwinden mit den alten Rassen nicht nur kulturelle und kulinarische Vielfalt, sondern auch das wertvolle Genmaterial dieser robusten Tiere. Für den auf Quantität gepolten Bauern nehmen solche Rinder nicht schnell genug zu, sie bleiben zu klein und erreichen kein hohes Schlachtgewicht, und die Kühe geben ihm nicht genug Milch. Schafe sind nicht mehr als Wolllieferanten interessant, nur noch als subventionierte Landschaftspfleger, Schweine mit großem Speckanteil auch nicht mehr gefragt. Dabei sind die alten Rassen oft genügsam, bestens an ihre regionale Umgebung angepasst, gesund und resistent gegen Krankheiten, fruchtbar und langlebig. Allein in Deutschland stehen über 100 Rassen auf der Roten Liste der »Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH)« und drohen auszusterben.
Auerochsen der Neuzeit, gutmütige Schwarzwälder, bayrische Zugochsen: In seinem Buch stellt Jens Mecklenburg 66 gefährdete Nutztiere vor – vom Glanrind über das Waldschaf bis zum Vorwerkhuhn – und erläutert, wo man sie heute noch finden kann. Denn erst eine steigende Nachfrage beim Verbraucher kann die Artvielfalt bewahren. Slow Food hat einige in ihrem Bestand dramatisch verminderte Rassen als »Passagiere« in die Arche bedrohter Arten aufgenommen – das einst im nördlichen Schleswig-Holstein verbreitete Angler Rind, das Angler Sattelschwein und das Bunte Bentheimer Schwein, das Augsburger Huhn und die Diepholzer Gans, das Alpine Steinschaf, die Moorschnucke und noch weitere. Und insbesondere Biobauern setzen sich verstärkt für mehr Sortenvielfalt, für den Erhalt alter Kulturpflanzen und Nutztierrassen ein. Im Buch »Raritäten von der Weide« lernt der interessierte Leser neben Schweinen, Schafen, Ziegen und Geflügel vor allem verschiedene Rinderrassen kennen, und er erfährt etwas über ihre Züchtungsgeschichte und ihre Qualitäten. Schade ist allerdings, dass Jens Mecklenburg zwar sehr unterhaltsam schreibt, die kontinuierliche Wiederholung der Tierporträts den Leser aber dennoch etwas strapaziert. Es hätte dem Band gut getan – vermutlich aber eine Platzfrage –, der Kieler Journalist hätte von der ein oder anderen Erfolgsgeschichte wie beim Schwäbisch-Hällischen Landschwein etwas ausführlicher erzählen und ein paar Porträts engagierter Bio-Landwirte, Gastronomen, Züchter und anderer Menschen, die sich für den Erhalt von Biodiversität engagieren, einstreuen können. Abgesehen davon ist der im oekom verlag erschienene Band ein sorgfältig gemachtes, mit den Fotos von Ingo Wandmacher ansprechend bebildertes und rundum lesenswertes Buch.
Hohenlohe: In Baden-Württemberg ist das schwarz gescheckte Schwäbisch-Hällische Landschwein inzwischen die bekannteste alte Nutztierrasse, doch Anfang der 1980er-Jahre hatten nur noch eine Handvoll Sauen und ein Eber als letzte reinrassige Exemplare der »Mohrenköpfle« überlebt. Hohenloher Bauern ist es zu verdanken, dass die traditionsreiche Landrasse wiederbelebt wurde – ein auch überregional viel beachtetes Projekt. Mitte der 1980er-Jahre gründete sich eine Züchtervereinigung, die inzwischen recht groß geworden ist, mit der Tochterorganisation der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Diese vermarktet auch das Bœuf de Hohenlohe, für das lokale Rassen wie Limpurger und Fleckvieh mit dem französischen Limousin-Rind gekreuzt werden (der Limpurger Weideochse gilt als älteste Rinderrasse Württembergs). Der französische Name soll aus dem 18. Jahrhundert stammen, als Hohenloher Bauern ihre Tiere bis nach Paris trieben – auch in Frankreich hatte sich herumgesprochen, wie zart und schmackhaft das Fleisch ist. In der Stuttgarter Wilhelma dagegen soll der Schaubauernhof mit heimischen Haustierrassen zugunsten einer »Asienwelt« weichen. Ein Rückfall in koloniale Zeiten? Jedenfalls stießen die Pläne auf wenig Begeisterung in der Öffentlichkeit. Der Kölner Zoo geht den gegenteiligen Weg: Mit dem Clemenshof errichtete er 2014 gerade ein »bergisches« Bauernhofareal mit einheimischen Tierarten.