PARISER DÖRFER: AUTEUIL

Teures Pflaster: Einst waren Passy und Auteuil im 16. Arrondissement ländliche Gemeinden vor der Stadt, heute sind es die Viertel der Reichen am Rive Droite. Im Juli 2020, als im Sommer für einige Zeit »normale« Reisen wieder möglich waren, habe ich einen langen Spazierung durch diese teuren Viertel der Hauptstadt gemacht, um alle touristischen Hotspots weiträumig zu umgehen. Der insgesamt 17 Kilometer lange Spaziergang führte mich durch Passy und zurück durch Auteuil, seit 1860 eingemeindet und das 61. der insgesamt 80 Pariser Quartiers. Eigentlich fahre ich jeden Monat für ein paar Tage nach Paris, doch 2020 hat es aus Corona-Gründen nur drei Mal geklappt – im März, im Juni und im Juli. Dies ist die Fortsetzung des Hinwegs durch Passy. Das große 16. Arrondissement wird auf der einen Seite von der Seine, auf der anderen vom Bois de Boulogne begrenzt. Wer sich für Jugendstil- und Art-Déco-Architektur interessiert, findet hier zahlreiche Beispiele.

Rue Mallet-Stevens: Von der Petite Ceinture ist die kurze Sackgasse nur ein paar Schritte entfernt. Dort hat Robert Mallet-Stevens (1886–1945), einer der innovativsten Architekten der 1920er-Jahre, das ganze Ensemble von fünf Häusern gebaut, die mit ihren geometrischen Formen, den großen Fenstern und Türen noch so modern wirken wie zur Fertigstellung im Jahr 1927 (heute allerdings teils nicht mehr im Originalzustand). Neben den Baukörpern zeichnen sich auch die Details durch Sorgfalt aus, die Gitter und Türen beispielsweise stammen von dem Architekten, Möbelgestalter und Kunstschmied Jean Prouvé (1901–1984) und die Buntglasfenster aus dem Atelier von Louis Barillet. In der benachbarten Rue du Dr. Blanche wiederum beherbergen zwei Gebäude von Le Corbusier aus dem Jahr 1925 – die Villas La Roche und Jeanneret – heute die Fondation Le Corbusier und Ausstellungsflächen.

Über die Petite Ceinture zur Piscine Molitor: Durch die Rue Raffet geht es zurück zur Petite Ceinture, deren Trasse etwas tiefer verläuft als der Boulevard de Montmorency. Vorbei an einem Ateliergebäude mit den Statuen der bretonischen Städte Audierne und Ploaré und dem »Grenier« der Brüder Goncourt gelangt man durch die Grünanlage zur Gare d’Auteuil. Ihren sogenannten Speicher hatte das Autorentandem Jules und Edmond de Goncourt in der zweiten Etage des Gebäudes in Nr. 67 eingerichtet. Dort empfing Edmond nach dem Tod seines Bruders illustre Schriftstellerkollegen wie Zola, Daudet, Maupassant, Huysmans, Murger und Gautier zum Sonntagssalon und stopfte die Räume mit unermüdlichen Sammeleifer mit Bildern, Drucken, Möbeln und Kunstobjekten voll (für das Inventar benötigte er mehr als 600 Seiten). Ein angesagtes italienisches Restaurant ist in den ehemaligen Bahnhof von Auteuil eingezogen, in die legendäre Piscine Molitor dagegen ein Hotel, ein Stück weiter über den Boulevard Murat. Das 1929 unter Mitwirkung von Johnny Weissmuller eröffnete Art-Déco-Schwimmbad mit seinen umlaufenden Kabinen über drei Geschosse war in den 1930er-Jahren ein echter Promi-Hotspot, und 1946 wurde dort der weltweit erste Bikini vorgeführt. Nach der Schließung 1989 stand die denkmalgeschützte Piscine Molitor lange leer, das wohl prächtigste Pariser Schwimmbad wurde zum Ziel von Street-Art-Sprayern und Bühne für Underground-Konzerte. 2014 wurde das renovierte Gebäude als Hotel wiedereröffnet. Ich habe der Rooftop-Bar einen Besuch abgestattet, mit Blick auf das verlockende Wasser des 50-Meter-Außenbeckens (innen gibt es ein 33 Meter langes Winterbecken)

Stade Jean Bouin und Serres d’Auteuil: Von dort oben ist jenseits benachbarter Tennisplätze auch das von einer gitterartigen Struktur umhüllte Stade Jean Bouin gut zu sehen, das vor allem als Rugbystadion dient. Anlässlich der Bewerbung von Paris für die Olympischen Spiele 2012 wurde es nach Plänen von Rudy Ricciotti neu gestaltet – kein Wunder, dass die Hülle an das spektakuläre MuCem-Museum in Marseille erinnert. Zu den Aufsehen erregenden Arbeiten dieses 1952 geborenen Architekten – in Frankreich ein Star – zählen viele Kulturbauten, etwa die Islam-Abteilung des Louvre, das Jean-Cocteau-Museum in Menton an der Côte d’Azur, die Bibliothèque Humaniste in Sélestat im Elsass und der Pavillon Noir für das Zentrum für Choreographie in Aix-en-Provence. Dem Besuch der benachbarten historischen Gewächshäuser im Jardin des Serres d’Auteuil habe ich hier schon einen eigenen Beitrag gewidmet. Durch den Square des Poètes, einen benachbarten Garten mit literarischen Zitaten auf kleinen Steinblöcken, habe ich den Rückweg stadteinwärts angetreten. Via Rue Molitor ging es zurück Richtung Seine, vorbei am verschlossenen Tor der schicken Villa Molitor. Solche Villa genannten, oft begrünten Privatstraßen gibt es einige in Paris – in dieser hat als einer der prominenten Residenten der Rocksänger Johnny Hallyday mal gewohnt. Quer durch den 3,7 Hektar großen, leicht hügeligen und friedlichen Parc Sainte-Périne gelangt man zur Avenue de Versailles, wo der Pavillon de l’Eau in einem Backsteingebäude in Nummer 77 aus Pandemie-Vorsicht leider geschlossen war. In dieser Fabrik von Anfang des 20. Jahrhunderts können Besucher normalerweise Näheres zur Wasserversorgung von Paris erfahren.

Rue Agar: Also ein letzter Abstecher zur Rue Jean de la Fontaine, in der gleich eine ganze Reihe an Bauten von Hector Guimard (1867–1942) stehen, darunter mit dem Castel Béranger in Nummer 14 einer seiner frühesten Entwürfe (1898), das Hôtel Mezzara (1910) in Nummer 60 sowie ein ganzer Häuserblock im Jugendstil (sogar das Straßenschild der Rue Agar ist passend gestaltet). Alle Details entsprechen dem neuen Stilideal des Art Nouveau, als dessen wichtiger Vertreter der in Lyon geborene Architekt gilt. An der Straßenecke von Rue Gros und Rue Jean de la Fontaine steht man dann vor der roten Holzfassade des Cravan (seit 2018, benannt nach dem Boxer Arthur Cravan) in einem weiteren eleganten Jugendstilgebäude von Hector Guimard. Auch im Innern der angesagten Cocktail-Bar blieb die Jugendstildekoration erhalten, jetzt in Pandemiezeiten hatte das Lokal – tagsüber Café – aber leider geschlossen.

Maison de la Radio: Wo das Seine-Ufer und der Pont de Grenelle erreicht sind, steht das runde, 1963 eingeweihte Gebäude von Radio France, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Derzeit sind aus Gründen weder Bar noch Restaurant des Funkhauses geöffnet, und auch im Konzertsaal mit ausgezeichneter Akustik bleibt es still. Ich habe meinen müden Füßen eine Pause in der Brasserie Les Ondes (Die Wellen) gegönnt, Mittagskantine für die Mitarbeiter der Radiosender. 2013 hat der französische Regisseur Nicolas Philibert eine Dokumentation über die Maison de la Radio gedreht und mit der Kamera festgehalten, was sonst nur zu hören ist.

Rue Mallet-Stevens

 

Fondation Le Corbusier

Paris Petite Ceinture 16ePiscine Molitor

 

Paris Stade Jean Bouin

Paris Parc Saint-Périne

Paris Maison de la Radio

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