KASSIA ST CLAIR: DIE WELT DER FARBEN
Flohfarben und Drachenblut: Ein fesselndes Sachbuch, denn es ist – in guter angelsächsischer Tradition – ausgesprochen unterhaltsam geschrieben. Auf »flohfarbenen Satin«, »zitronengelbe Sarsenettseide« und »klatschmohnrote Federn« stieß die Londoner Journalistin bei ihrer Recherche für eine Arbeit über die Mode des 18. Jahrhunderts. Das Interesse der Autorin für Farben war geweckt, und eine monatliche Kolumne in der britischen Zeitschrift »Elle Decoration« bald gestartet. Daraus entstand wiederum dieses sorgfältig gestaltete und vor allem »Ton für Ton« vorbildlich gedruckte Buch mit einer erstaunlichen Fülle an Schattierungen und Farbnuancen. Gern blättert man von Neapelgelb zu Gummigutta und Kaisergelb, und von Absinth zu Smaragdgrün, Avocado und Seladon.
Himmelblau, Ultramarin und Indigo: Nach einer knappen farbtheoretischen Einführung liest man mit wachsender Faszination interessante, verblüffende oder amüsante Ausführungen zu einzelnen Farbtönen und Pigmenten. Wer hätte gedacht, dass Blau in der Antike so geringgeschätzt wurde und als Farbe der Barbaren galt? Heute ist »Blau mit Abstand die Lieblingsfarbe der Menschen«, ergab eine Studie in zehn Ländern auf vier Kontinenten. Für Ultramarin wird das nachtblaue Gestein Lapislazuli zermahlen, für Indigo wiederum wird der Farbstoff aus vergorenen Pflanzenblättern gewonnen. Aber es geht nicht nur um stinkende Rohstoffe, aufwendige Herstellung und giftige Bestandteile von Farben, ihren Marktwert und historische Bedeutung in Königshäusern oder der Malerei. Besonders lesenswert macht diese Kulturgeschichte der Farben die Vielfalt der gestreiften Bereiche. Die Maler kommen nicht zu kurz, das patentierte Yves-Klein-Blau taucht auf, oder auch Edouard Manet: »Frische Luft ist violett.« Doch Kassia St Clair steuert auch Anekdoten aus der Welt der Mode bei – wie ein schockierendes, schamloses »Knallrosa« zum Markenzeichen von Elsa Schiaparelli wurde –, schreibt über »Blondinen«, »Absinth«, den Anbau von Färber-Waid (unter anderem im Elsass) und die Angst vor »pechschwarzer« Dunkelheit, und macht darauf aufmerksam, dass »nude«, fleischfarben, weiße Haut voraussetzt. Immerhin, ein soziales Start-up bietet jetzt Hautfarben-Buntstifte in zwölf Tönen an, und Christian Louboutin »Nude«-Pumps, -Sneaker und -Sandalen in diversen, auch dunklen Nuancen.
Weiß und Schwarz: Die beiden zeitlosen »Nichtfarben« erfreuen sich bei Minimalisten, Architekten, Grafikern und Designern größter Beliebtheit, doch wer schon mal beim Farbenhersteller Farrow & Ball oder Little Greene geschaut hat, kennt die zahllosen gebrochenen Weißtöne der Farbpalette, in warmen oder kühlen Schattierungen, gar nicht zu reden von den unzähligen Grau-Abstufungen. Ich erinnere mich lebhaft an die schwelgerische Aufzählung der vielen Weißtöne der Textilien im »Paradis des Dames«, als Emile Zola zum Ende des Romans hin den großen Verkaufstag im Warenkaufhaus beschreibt, an dem Inhaber Octave Mouret das erste Mal eine Million Umsatz macht… Auch Kassia St Clair hat genau hingeschaut, bei Kalkweiß, Kreide, Elfenbein und Beige, Tinte, Obsidian, Kajal und Holzkohle …
Kassia St Clair, Die Welt der Farben, aus dem Englischen übersetzt von Marion Hertle, Hoffmann und Campe / Atlantik, 352 Seiten, 18 €
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