GÄRTEN DER NORMANDIE: JARDINS D’ÉTRETAT
Formschnitt-Garten: Ein neues Wort habe ich in der Normandie gelernt, Topiary ist der englische Begriff für in Form geschnittene Hecken, Bäume und Sträucher (und auch im Französischen als »topiaire« gebräuchlich). In den am Hang gelegenen Jardins d’Étretat hat Landschaftsarchitekt Alexandre Grivko die Gestaltung mit der Formschnittschere zur großen Kunst entwickelt. Old fashioned wie in einem französischen Barockgarten ist sein Stil des Stutzens aber ganz und gar nicht, auch »witzige« Figuren wie in englischen Gärten gibt es in diesem modernen, 2015 angelegten Park nicht. Wohlweislich hat sich der russische Gartengestalter, zu dessen Vorbildern Jacques Wirtz zählt, auf wenige immergrüne Pflanzen beschränkt, die mit dem maritimen Klima am Ärmelkanal zurechtkommen, inspiriert von der Flora der normannischen Küste. Zu Wellen, Bögen, Säulen in Form geschnitten, die an die Landschaftselemente der Normandie erinnern sollen, werden hier Buchsbaum, Stechpalme, Schmalblättrige Steinlinde, Silber-Ölweide und Eibe.
Garten im Regen: Der bedeckte, wolkenreiche Himmel bringt es mit sich – dieses Jahr spaziere ich durch die meisten Parks nur bei Niesel- oder Starkregen, ob der Botanische Garten in Dijon, der Park des Château de la Ballue in der Bretagne oder eben der Formschnitt-Garten in Étretat, überall tropft, rinnt, rieselt, strömt es. Die vielen Grünschattierungen sind ohnehin schwierig zu fotografieren; oft gelingt es bei Natur- und Landschaftsaufnahmen nicht, die Farbtöne originalgetreu einzufangen. Bei schlechten Lichtverhältnissen an einem trüben Tag gilt das umso mehr – das satte, helle oder dunkle Grün scheint das Licht noch zu verschlucken. Zumal hier nur wenig Blühendes für farbige Kontraste sorgt, denn Grivko vermeidet bei seinen Arbeiten zu kräftige Farben – bläuliche Agapanthen unter hohen Bäumen, Frauenschuh-Orchideen, weißer Zierlauch, weiße Azaleen und Rhododendron, das war es schon fast.
Künstler-Residenz: Der fantastische Blick auf die berühmten weißen Kreidefelsen der Alabasterküste, der sich vom Garten aus bietet, war vermutlich auch der Grund, warum Madame Thébault, eine gefeierte Pariser Schauspielerin der Belle Époque, hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine hübsche kleine Fachwerk-Villa erwarb. Sie war mit Claude Monet befreundet, der häufig zu Besuch kam, um die Klippen zu malen. Heute lädt Grivko zeitgenössische Künstler ein, vor Ort zeitweilig an Projekten zu arbeiten – die dann vorübergehend oder dauerhaft zur magischen Atmosphäre des Gartens beitragen. In diesem kleinen Freilichtmuseum für moderne Kunst am besten gefallen haben mir die Schlüssel-Installation »Clockwork Forest« vom Künstlerkollektiv Greyworld aus London und die Bänke aus alten Eichen des deutschen Bildhauers Thomas Rösler. Meistfotografierte Arbeit dürften jedoch die Köpfe aus grauem Polyesterharz des katalanischen Künstlers Samuel Salcedo sein, die verschiedene Emotionen ausdrücken und inmitten von Buchsbaum platziert wurden – ihr Name passt zum aktuellen Wetter: »Gouttes de Pluie« (Regentropfen).
Avenue Damilaville, 76790 Étretat, www.etretatgarden.fr