NORMANDIE: AUSFLUGSTIPP ÉTRETAT

Seebad am Ärmelkanal: Viel kleiner, als sein großer Ruf vermuten lässt, ist Étretat. Das Seebad an der normannischen Alabasterküste ist ein beliebtes Ausflugsziel für ganze Reisebusse mit Touristen – erst abends nach ihrer Abfahrt wirkt der Ort so beschaulich, wie es ein Dorf seiner Größe (1200 Einwohner) normalerweise wäre. Entsprechend scheint sich das Angebot auf den ersten Blick auf mehr oder minder vertrauenswürdige Restaurants zu beschränken, in den die Heerscharen mittags »Moules frites« vertilgen, und Läden mit lokalen Spezialitäten von Calvados bis Camembert oder Souvenir-Scheußlichkeiten, Postkarten und maritime Mode. Selbst die schöne mittelalterlich wirkende, doch Mitte der 1920er-Jahre erbaute Fachwerk-Markthalle im Ortszentrum ist damit gestopft voll, und die Meerfront von Etretat besteht leider aus gesichtslosen, teils vernachlässigten Apartmentbauten. Dennoch gibt es ein paar gute Gründe, den Ausflug nach Étretat zu unternehmen und zu genießen, allen voran die weißen Kreideklippen, das malerische Wahrzeichen der Normandie, die das Seebad auf beiden Seiten rahmen, und die Jardins d’Étretat.

Falaises: Vom Kiesstrand, an den beständig die Wellen rollen und das Klackern der Steine zum Grundrauschen machen, ist Étretat durch einen Damm getrennt, der vor Sturmfluten schützt und zugleich als Strandpromenade dient. Nördlich und westlich der Bucht geht es steil hinauf auf die weltberühmten steilen Klippen, zur Falaise d’Aval und zur Falaise d’Amont, die im 19. Jahrhundert von so manchem Maler in wechselnden Lichtstimmungen im Bild festgehalten wurden und heute das beliebteste Fotomotiv für jede Normandie-Werbung sind. Auf mehr als 150 Kilometern erhebt sich die helle Felswand des Pays de Caux – Côte d’Albâtre genannt. Aus dem Kalk haben das Meer, Wind und Wetter bizarre Formen genagt und Grotten ausgewaschen, Durchbrüche geschaffen und freistehende Felsnadeln gebildet. Und jedes Jahr holt sich die wilde Brandung weitere Stücke der Felsformationen. Auf dem Plateau der 85 Meter hohen Falaise d’Aval mit dem eindrucksvollen Kalkbogen erstreckt sich ein beneidenswert gelegener Golfplatz, auf der anderen Seite hat man von der Falaise d’Amont den schönsten Blick darauf. Oben erinnern ein Denkmal und ein Museum an die Luftfahrtpioniere Charles Nungesser und François Coli, die 1927 mit ihrem Doppeldecker in Paris zur Atlantiküberquerung starteten, aber über Étretat zuletzt gesichtet wurden und dann verschollen blieben. Von dort gelangt man auch in die Jardins d’Étretat.

Wie gemalt: Der Blick von den Kreidefelsen aufs Meer. Immer an der Küste der Normandie entlang kann man stunden- und sogar tagelang wandern, denn der »Sentier de randonnée« GR21, ein Fernwanderweg, führt von Le Tréport bis zur Seine-Mündung bei Le Havre (www.mongr.fr/trouver-prochaine-randonnee/parcours/gr-21-littoral-de-la-normandie). 190 Kilometer insgesamt misst die Strecke; wer eine Etappe von Étretat bis Yport gehen und mit dem Bus (www.atoumod.fr) zurückkehren will, ist mit 11 Kilometern dabei. Eine steile Treppe führt hinauf auf die Falaise d’Amont zur Fischerkapelle Notre-Dame de la Garde – gerade eingerüstet zur Renovierung. Oben angekommen warnen Schilder, nicht zu nahe an die Klippen zu treten – wozu die grandiose Aussicht durchaus verlockt. Mit etwas Sicherheitsabstand geht es hoch oberhalb an der Porte d’Amont vorbei, einem weiteren, etwas kleineren Felsbogen, und der Felsnadel Aiguille de Belval. Die ganze Wanderung über bleibt man auf dem Klippenkamm der imposanten Kreidefelsen, etwas Auf und Ab ist aber durchaus dabei. Markiert ist der Höhenweg mit einem weiß-roten Doppelbalken.

Schlemmen und Schlafen: Reich verzierte Fachwerkhäuser, deren Erhalt sich im salzgetränkten Meerklima sicher noch aufwendiger gestaltet als anderswo, prägen die zentrale Achse. Übernachtet habe ich in einem davon, der Résidence Manoir de la Salamandre, im vermutlich kleinsten Zimmer unterm Dach (www.hotellaresidence-etretat.com). Tatsächlich ist es wie die die Markthalle (aus den Balken einer Scheune in Brionne) kein mittelalterliches Original, sondern für das Ende des 19. Jahrhundert erbaute Haus nutzte man Gebäudeteile aus Lisieux. Neben den Dachkämmerchen gibt es auf den beiden Etagen darunter knapp ein Dutzend etwas größere Zimmer. Und ein Lokal, in dem richtig gut und modern gekocht wird, habe ich dann auch noch gefunden, das Bel Ami, Neo-Bistrot und Weinbar (www.lebelami.com). Auf der Karte wirkten die vielen »petites assiettes« – kleine Gerichte zum Teilen (neben »grandes assiettes« als Hauptgerichten) – am interessantesten. In den Rubriken »Terre«, »Mer« und »Potager« standen jeweils drei, vier Gerichte zur Wahl – sagenhaft gut war das vegetarische »Fraicheur de petits pois infusés à la livèche, espuma de brebis, graines de lin« auf der Basis von Erbsen. Von den offenen Weinen auf der Schiefertafel war der Chenin Blanc aus dem Rhône-Tal eine gute Wahl, wer nicht allein essen geht wie ich, findet auch recht viele Flaschen auf der Weinkarte, denn das charmante Weinbistrot gehört zu einem Sternelokal in Étretat.

Étretat

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