FRANZÖSISCHE GÄRTEN: JARDIN ALBERT KAHN IN BOULOGNE-BILLANCOURT
Fast ein Pariser Park: Je nach Startort ist man mit der Metro recht lange unterwegs bis zur Endstation Boulogne Pont de Saint-Cloud. Doch zu einem so schönen Garten ist kein Weg zu weit. Ganz im Südwesten von Paris, noch südlich des großen Bois de Boulogne, liegt der Jardin Albert Kahn, der schon zu Boulogne-Billancourt gehört und damit zum Département Hauts-de-Seine. Gleich um 11 Uhr zur Öffnungszeit wollte ich dort sein, und Grün und Blüten noch fast allein bewundern, so dachte ich. Aber weit gefehlt, die Fotos im Beitrag täuschen – eine Vielzahl an Besuchern füllte schnell die Parkwege, darunter auffallend viele Menschen mit großen Objektiven auf der Fotopirsch, aber Gottseidank deutlich weniger Influencerinnen auf der Suche nach einer Kulisse fürs Posieren. Jetzt im Frühjahr blühten noch die letzten Kamelien und schon die ersten Azaleen, Waldhyazinthen, Sternblumen und weißer Flieder sowie im Obstgarten die Spalier-Apfelbäume – auf die Rosenblüte muss man noch warten.
Jardins du Monde: Ende des 19. Jh. begann der aus dem Elsass stammende Albert Kahn (1860–1940) einen Garten anzulegen, für den er Parzellen rund um seine Villa in Boulogne-Billancourt erwarb. Damals war es zwar durchaus üblich, Gartenbereiche als ganz unterschiedliche Szenerien zu gestalten, dennoch entspricht der »Weltgarten« vor allem den humanistischen Idealen seines Schöpfers. Der wohlhabende Bankier und Philanthrop beauftragte Achille und Henri Duchêne mit den Planungs- und Pflanzungsarbeiten, Vater und Sohn und zwei Landschaftsarchitekten, die sich auch als Restaurateure historischer Barockgärten einen Namen gemacht hatten. Von ihnen stammt der Jardin français vor dem Gewächshaus, mit seinen vier Blumenparterres, der zentralen Rasenfläche und an zwei Seiten begrenzt von Hecken und den in Form geschnittenen Kastanien. An der anderen schließen Roseraie und Verger an, mit Spalierobst und Obstbäumen. Dahinter geht es in den blauen Wald mit Zedern und Marais, zum goldenen Wald und Prärie, dem Vogesenwald mit Nadelbäumen und Farnen und zum englischen Landschaftsgarten. Die Bereiche spiegeln die Gartenkultur verschiedener Länder wider, fernöstlich im japanischen Garten, der in den 1990er-Jahren von japanischen Gartenarchitekt Fumiako Takano neu angelegt wurde, während sich das Département Hauts-de-Seine als Eigentümer ansonsten bemüht, den historischen Garten zu restaurieren.
Merveilles du Monde: Reich geworden, widmete sich Kahn gleich mehreren Projekten. So stiftete er mit dem Programm »Autour du Monde« Reisestipendien, mit denen junge Akademiker ein Jahr um die Welt reisen konnten. Sein großes Ziel war eine friedliche Welt, zu der internationale Zusammenarbeit und das Verständnis fremder Kulturen beitragen sollten. Neben der Gartenkunst galt die zweite Leidenschaft des Friedens-Utopisten dem neuen Medium von Fotografie und Film. Mit dem Projekt »Archives de la Planète« unternahm es Kahn als Mäzen und Auftraggeber, die Welt ins Bild zu bannen – die rund 72.000 Autochrome und rund 100 Stunden Filmaufnahmen sind eine Fundgrube historischer Stadt- und Architekturansichten, von Menschen vieler Kulturen und von Alltagsszenen aus allen Kontinenten. Zugleich wurde Kahn damit ein Pionier der Farbfotografie, indem er das von den Brüdern Lumière zu Beginn des 20. Jh. gerade erst entwickelte Autochromverfahren nutzte. Nachdem er als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 sein Vermögen verlor, starb Kahn 1940 völlig verarmt in Paris.
Musée et Jardin Albert Kahn, 2 rue du Port, Boulogne-Billancourt, Di–So 11–19 Uhr, Okt.–März nur bis 18 Uhr
albert-kahn.hauts-de-seine.fr