ELAINE SCIOLINO: THE SEINE

Unesco-Welterbe: Nach einem Ausflug in die Geschichte nimmt sich Elaine Sciolino Zeit für ganz unterschiedliche Aspekte des Flusses, der das Stadtbild von Paris prägt und dessen Ufer in der Hauptstadt seit 1991 zum Weltkulturerbe zählen. Im Kapitel über die Brücken erfährt man Wissenswertes über den Pont Neuf, den Albert Marquet so oft gemalt und Christo und Jeanne-Claude verpackt haben. Gleich darauf geht es um die Wasserqualität der Seine – was lange als gesundheitsgefährdende Kloake galt, soll bis zu den Olympischen Spielen so sauber sein, dass man ungefährdet darin schwimmen kann. »L’eau de la Seine relâche l’estomac, pour quiconque n’y est pas accoutumé. Les étrangers ne manquent presque jamais l’incommodité d’une petite diarrhée«, heißt es im »Tableau de Paris« von Louis-Sébastien Mercier, das 1772 erschien, als der Fluss noch ungefiltert das Trinkwasser lieferte. In anderen Kapiteln sind die Seine-Inseln, katastrophale Hochwasser, die ausgeklügelte Beleuchtung der Brücken, Projekte wie »Réinventer la Seine« oder Selbstmörder und Wasserleichen wie die der berühmten »Unbekannten aus der Seine« Thema.

Scenes on the Seine, River of Song: Die überall eingestreuten Verweise auf die Spuren, die die Seine in Literatur und Malerei hinterlassen hat, regen an, dem ein oder anderen Hinweis genauer nachzugehen, und den Kinofilmen, Fotografien und Chansons sind eigene Kapitel gewidmet – kein Wunder, denn »probably thens of thousands of films have been shot in Paris oder made about Paris«. Jetzt habe ich zum ersten Mal den Kurzfilm »C’était un rendez-vous« (1976) von Claude Lelouch gesehen, wo er mit einem Auto von der Porte Dauphine durch ganz Paris hinauf zu Sacré-Coeur rast, um rechtzeitig zu seiner Verabredung einzutreffen, und mir »La Seine« von Josephine Baker und Bing Crosby angehört.

Menschen am Fluss: Aber vor allem trifft Sciolino Menschen, die am, auf oder mit dem Fluss leben: einen Bouquinisten und einen Hausbootbesitzer, die Ruderer der Sequana Association und Angler, eine Binnenschifferin und den Kapitän eines Flusskreuzfahrtschiffs, eine singende Bibliothekarin, Mitarbeiterinnen von Museen und der Cinémathèque, Polizisten und eine Taucherin der Brigade Fluviale de Paris, einen Flusslotsen und die Feuerwehrmänner, die mit Wasser aus der Seine den Brand von Notre-Dame löschten.

The River That Made Paris: Der Untertitel zeigt den Schwerpunkt – in erster Linie hat die Autorin ein Buch über Paris geschrieben. Die Kapitel über Ober- und Unterlauf der Seine sind deutlich kürzer (40 und 60 Seiten zu 180 Seiten über Paris). Am Oberlauf trifft Sciolino zwei Champagner-Hersteller und stattet Troyes und Fontainebleau einen Besuch ab, auf dem Weg zum Ärmelkanal besucht sie in der Normandie Le Havre, Rouen, Caudebec-en-Caux, Honfleur und die Abtei Jumièges, laut Victor Hugo »la plus belle ruine de France«, doch nicht für alle »ancient ruins, Romanesques churches, villages that inspired the impressionists, nature parks, local museums«, über die man vielleicht auch gern mehr erfahren hätte, ist am Ende noch Platz. Nur nebenbei erwähnt werden der Fernwanderweg GR2 und der Seine-Radweg oder die »Route des fruits«. Die Autorin kam als Auslandskorrespondentin nach Paris und hat sich heftig in die Stadt verliebt, ein vorangegangenes Buch ist einer einzigen Straße gewidmet, der Rue des Martyrs (auch eine meiner Lieblingsstraßen). Hier gibt Sciolino nun »the world’s most romantic river« eine Bühne. Es ist ein sehr persönliches Buch geworden, und ebenso »great bedside read« wie spannendes journalistisches Sachbuch.

 

Elaine Sciolino, The Seine. The River That Made Paris, W. W. Norton & Company 2020

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