AUSSTELLUNG IN PARIS: BERTHE WEILL
Musée de l’Orangerie: Wer ohne Ticket mit Zeitfenster in die Ausstellung möchte, kann sich auf mehr als zwei Stunden Wartezeit einstellen, so lang ist die Schlange vor dem Museumseingang im Jardin des Tuileries. Ob die Ausstellung, die nach New York und Montreal nun in Paris zu sehen ist, dazu führt, dass die französische Kunsthändlerin und Galeristin Berthe Weill (1865–1951) etwas breiter bekannt wird? Ihr engagiertes Eintreten für spätere Schlüsselfiguren der Avantgarde wird in kunstgeschichtlichen Darstellungen viel zu selten erwähnt, anders als bei Kollegen wie Ambroise Vollard, den Brüdern Bernheim-Jeune oder Daniel-Henry Kahnweiler.
Pariser Avantgarde: Ihre erste winzige Galerie eröffnete die Kunsthändlerin in der Rue Victor Massé am Fuß des Montmartre, später bezog sie Räume in der Rue Taitbout, in der Rue Laffitte und in der Rue Saint-Dominique. Berthe Weill zeigte Picasso in seinen Anfängen, verkaufte für Matisse das erste Bild, organisierte die einzige Einzelausstellung zu Lebzeiten von Modigliani. Reich wurde die Bahnbrecherin nicht, war eher Mäzenin als Unternehmerin mit kommerziellem Augenmerk auf den eigenen Wohlstand. So beteiligten ihre (heute bekannteren) Kollegen die Künstler an Kosten und Risiko, nahmen Geld unter anderem für die Rahmen, den Druck und Versand der Kataloge und sogar Raummiete. Dagegen verzichtete Berthe Weill darauf, und von den 130 Francs für den ersten verkauften Matisse erhielt der Künstler 110 Francs. Sie stellte vorzugsweise junge Künstler aus, mit so großem Gespür für Qualität, dass ihr aufstrebende Talente später von den Kollegen abgeworben und mit knebelnden Exklusivbedingungen unter Vertrag genommen wurden.
Eine bemerkenswerte Karriere: Am 20. November 1865 wurde Berthe als fünftes Kind einer armen jüdischen Familie geboren, die aus dem Elsass in die Hauptstadt gezogen war. An ihrer bescheidenen Herkunft ließ nichts auf ihre Zukunft schließen, doch dank familiärer Verbindungen konnte Berthe ab 1880 bei einem Antiquar und Spezialisten für Drucke arbeiten. Hier schulte sie ihr Auge an der Kunst früherer Zeiten wie an der der zahlreichen Illustratoren, die für die satirische Presse arbeiteten. Als ihr Arbeitgeber Ende des 19. Jahrhunderts starb, lieh dessen Frau ihr das Geld für die ersten sechs Monatsmieten und Berthe Weill eröffnete ihre eigene Galerie. Trotz aller Widrigkeiten, von Geldnöten über den Ersten Weltkrieg bis zum Antisemitismus, bestand die Weillsche Kunsthandlung über vier Jahrzehnte. Um Durststrecken zu überstehen, verkaufte sie auch Bücher und Drucke. 1940, während der Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg durch Nazi-Deutschland, schloss sie ihre Galerie, konnte der Deportation aber entgehen (die Biografie bleibt dazu befremdlich vage).
Frauenbilder: Berthe Weill schuf sich – mit erstaunlicher Ausdauer – nicht nur selbst einen Lebensweg, der ihr aufgrund ihres Geschlechts in dieser Zeit keineswegs ganz selbstverständlich offenstand, sie stellte auch mehr Künstlerinnen aus als ihre männlichen Kollegen. Ihre Biografin Marianne Le Morvan hat nachgezählt: Bei den von Ambroise Vollard organisierten Ausstellungen stammten nur 3 Prozent der Arbeiten von Frauen, bei Berthe Weill 30 Prozent, unter anderem zeigte sie Marie Laurencin und Suzanne Valadon. Eine um so beachtlichere Zahl, als Frauen das Kunststudium damals noch verwehrt und nur Privatunterricht möglich war. Unter den ausgestellten Künstlerinnen war besonders häufig Émilie Charmy (1878–1974) vertreten, eine Porträt-, Stillleben- und Landschaftsmalerin, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Kritikern und der Öffentlichkeit vergessen wurde, aber unbedingt wiederzuentdecken wäre. Ihr Porträt der Schriftstellerin Colette (aus dem Jahr 1921) ist gerade in einer anderen lohnenden Ausstellung in der Nationalbibliothek zu sehen.
Musée de l’Orangerie: Berthe Weill. Galériste d’avantgarde, 8. Oktober 2025 – 26. Januar 2026
Marianne Le Morvan: Berthe Weill. Marchande et mécène de l’art moderne, Éditions Flammarion, Paris 2025
