UFERPROMENADE IN BORDEAUX

Rotterdam erfindet sich neu, Marseille erfindet sich neu: Solche Schlagzeilen liest man, wenn wieder eine Stadt eine Schmuddelecke oder ein Industrieareal mit einem »radikalen« oder »millionenschweren« Umbau zum Aushängeschild umgestaltet. Aus einem ehemaligen Hafengelände eine Flaniermeile zu machen, damit ist Bordeaux nicht Vorreiter, sondern eher Nachzügler. In anderen Städten ermöglichte die Verlagerung von Hafenanlagen schon im 19. oder 20. Jahrhundert großzügige Uferpromenaden. Am Rhein gestalten Basel und Straßburg die Flussufer neu, an der Seine übt Paris, auch Düsseldorf gab schon vor Jahren mit der Rheinuferpromenade der Stadt ein neues Gesicht.

Aber wer zuletzt kommt, plant vielleicht am besten? Eben, weil er Vorbilder hat… Jedenfalls kann die großartige Neugestaltung der Promenade entlang der Garonne nur als äußerst gelungen gelten. Nicht nur optisch sind die Uferanlagen mit dem Miroir d’Eau eine spektakuläre Aufwertung der Stadt, und die üppige Bepflanzung vor der Altstadt und die stimmungsvolle Beleuchtung haben sicherlich ordentlich Geld gekostet. Die Stadt dreht ihrem Fluss nicht mehr den Rücken zu, und Einheimische wie Besucher nutzen den neu geschaffenen Freiraum so selbstverständlich, dass die Quais mit ihrem gastlichen Flair geradezu die »Ramblas« von Bordeaux geworden sind: ein öffentlicher Raum von unschätzbarer Lebensqualität, den in warmen und hellen Sommernächten ganze Heerscharen bevölkern. Aus dem ehemaligen Industriehafen am Flussufer wurde eine einladende Visitenkarte für Bordeaux, längst in freundlicher Übernahme von Joggern und jungen Familien, verliebten Paaren und Touristen annektiert, die dort Sport machen oder tanzen, zwischen Blumenbeeten picknicken, auf einer Bank lesen oder einfach nur beim Spazierengehen, Skaten oder Radeln frische Luft schnappen.

Kaum vorstellbar, dass hier zuvor eine breite Straße mit jeweils fünf Spuren für jede Fahrtrichtung den Platz einnahm, den heute die beeindruckend breiten Quais beanspruchen: Von den Fassaden bis zum Fluss sind es von 40 bis zu 100 Meter. Damals trennten noch hohe Gitter den Hafen und die Garonne von der Stadt, war die Place de la Bourse ein mit Pkws vollgesteller Parkplatz. Heute gibt kaum etwas Erhebenderes als einen Spaziergang oder eine gemächliche Radeltour entlang des Uferabschnitts von der Porte de Bourgogne im Süden bis zu den Bassins à flot im Norden. Was für eine Weite, was für eine grandiose Atmosphäre!

Bordeaux_Uferpromenade2

Port de la lune: Dass Bordeaux an einem weiten Bogen der Garonne liegt, trug ihr den Namen Mondsichel-Hafen ein, und dass es nicht mehr weit bis zum Meer ist, sieht man daran, dass das Wasser teils flussaufwärts fließt – die Flut drückt dann enorme Wassermassen den Mündungstrichter hinauf. Aufgewirbelter bräunlicher Sand gibt dem Wasser dann seine schlammbraune Farbe. Von Anfang an war Bordeaux eine Hafenstadt, auch wenn sie 50 Kilometer landeinwärts vom Meer liegt: Über Garonne und Gironde ließen sich Waren zum Atlantik und von dort auf alle Kontinente transportieren. Heute ist Frankreichs sechstgrößter Hafen vom Stadtzentrum weiter Richtung Meer gerückt, dafür legen an den Quais immer mehr Kreuzfahrtschiffe an.

Und übrigens: Promenade – abgeleitet vom französischen Verb »se promener«, spazierengehen – ist zwar die Bezeichnung für eine Uferanlage oder einen anderen aufwendig gestalteten Spazierweg, doch über das Flanieren hinaus hat die Promenade als ritueller Sonntags- oder  Abendspaziergang gesellschaftliche Bedeutung: Wie zur italienischen »Passeggiata« oder zum spanischen »Paseo« flanieren jugendliche Grüppchen, Paare, Familien auf dem Corso, dem »Passeig Maritim« oder den »Quais« und sind zugleich Akteure und Zuschauer beim Sehen und Gesehenwerden.

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