BIG FLAVOUR: KOCHBUCH
Jenseits des Tellerrands: Jahrzehntelang gab es in neuen Kochbüchern eher Abwandlungen klassischer Rezepte als wirklich kreative Neuerfindungen. Man lernte Länderküchen kennen, später vegetarische Rezepte und Streetfood, interessierte sich wieder fürs Selbermachen, vom Einkochen übers Fermentieren bis zum Bierbrauen. Selbst die Rezepte der Veganer waren zu Beginn eher traditionelle Rezepte, allerdings mit 100 % pflanzlichen Zutaten zubereitet oder »nachempfunden«. Seit einigen Jahren hat sich das gründlich geändert, zum einen ist eine Vielfalt an Zutaten auch jenseits der Sterneküche aufzutreiben, und dank der »Superfood«-Mode und der Smoothie-Welle ist es auch nicht mehr ganz so verpönt wie früher, in Rezepten mal etwas zu verwenden, was nicht im nächsten Supermarkt erhältlich ist oder im eigenen Garten wächst. Yotam Ottolenghi hat in seinen Kochbüchern vorgeführt, welche Entdeckungen man machen kann, wenn man kontrastierende Aromen kombiniert und was aus Getreide, Hülsenfrüchten und Gemüse für sagenhafte Gerichte entwickelt werden können.
Zutatenlisten: Seither heißen Gerichte nicht mehr XY-Salat oder Gebackener Z, sondern zählen im Namen die Zutaten auf. Da macht auch Chris Honor keine Ausnahme, in seinem Kochbuch heißen die Rezepte »Maismehl Chiliflocken Paprika Rote Zwiebel Cheddar« und nicht ›Würziges Maisbrot‹, »Tomate Zimt Orange Mandeln« und nicht ›Geschmorte Tomaten‹. Das ist jetzt Mode, auch auf Speisekarten, ansonsten ist das Kochbuch aber in jeder Hinsicht originell.
Die tolle Foodfotografie von Tamin Jones macht Lust, die vielversprechenden Rezepte von Chris Honor und Laura Washburn Hutton auch gleich auszuprobieren. Und es sind wirklich neue, überraschende, fantastisch schmeckende Gerichte – ich war anfangs zwar skeptisch, ob sie teils nicht etwas gewollt kreativ sind, und auch manche Garzeiten schienen mir fragwürdig. Die Bedenken waren aber völlig unangebracht! Egal ob bei niedriger Temperatur kurz gegarter Fisch oder bei hoher Temperatur lang gegartes Fleisch – was bei mir für hochgezogene Augenbrauen sorgte, ich vermutete gleich einen Übersetzungsfehler – , das Rezept funktionierte (übrigens auch für die halbe Menge).
Schon nachgekocht habe ich »Grüne Bohnen Minze Zitrone Kamille Dillsamen«, letztere habe ich nicht bekommen, der warme Salat schmeckte aber auch ohne toll (für mich mit Chili, für den zweiten Esser ohne). Die Zeit, in der man frische Erbsen auf dem Markt bekommt, muss man einfach nutzen! Und »Linsen Rote Paprikaschote Garam Masala Mandeln Kirsche« funktionierte auch ohne das eigens zubereitete Chutney sondern mit Cranberrys. Eine Bereicherung für mein Repertoire waren auch »Kabeljau Cannellinibohnen Minze Kamille« und das Sonntags- oder Gäste-Beeindruck-Rezept »Rinderfilet Kaffirlimettenblätter Curryblätter Pomelo Chilischote«.
Chris Honor liebt es, Gerichten »Biss« zu geben und weiche mit knackiger oder knuspriger Textur zu verbinden. Und er versucht, eine Balance zwischen süßen und würzigen Aromen herzustellen. Weil das Auge mitisst, spielen auch Farbe und Präsentation eine Rolle. Kein Wunder, dass vor seinem kleinen Lokal in London zu Stoßzeiten mittags die Gäste Schlange stehen. So ein »Chriskitch« um die Ecke vom Büro – das wär’s! Die Times lobte das Minilokal im Stadtteil Muswell Hill nicht nur als »most rewarding small local restaurant encountered in years«, sondern bezeichnete den in Australien geborenen Koch auch als »culinary genius«.
Auf meiner Liste zum Ausprobieren: »Blumenkohl Buchweizen Minze Pistazien Harissa«, die Kuchenrezepte wie »Pfirsich Zimt Quinoa Kerne und Nüsse« oder »Zitrone Basilikum griechischer Joghurt« und alle Salate (!) und Salatdressings sowie die Brote.
Die deutsche Übersetzung ist 2015 im Knesebeck Verlag erschienen: Big Flavour. Moderne Rezepte mit Biss und Aroma, ISBN 978-3-86873-844-5.
http://www.knesebeck-verlag.de