SONIA FEERTCHAK: LOB DER HECKE
Heckenlandschaft: Dichtes Gesträuch umgibt als schmaler Feldrain oder tunnelartiger Weg die Wiesen und Äcker in der Bretagne und in der Normandie. Bocage heißt diese kleinräumige, von Menschen geschaffene Landschaftsform, deren Gehölze und Hecken unzähligen Insekten, Kleintieren und Vögeln Lebensraum bieten – britische Botaniker haben in 90 Meter Hecke 2070 Arten gezählt. Angelegt als natürliche Grenzmarkierung oder Einfriedung, schützen die »Talus« landwirtschaftliche Nutzflächen vor Wind und Erosion – die Bauern legten sie als Wallhecken auf Böschungen an – und hegten das Vieh ein. In Norddeutschland werden solche Saumbiotope als Knicks bezeichnet, ein Name, der sich dem regelmäßigen Abschlagen (Knicken) der Gehölze verdankt. Mit »Eloge de la haie« hat die französische Autorin Sonia Feertchak der Wallhecke einen großartigen Essay gewidmet.
Unnütze Natur: Früher waren die Saumbiotope keineswegs ungenutzte Fläche, Brennholz wurde ebenso gesammelt wie Wildfrüchte, etwa von Weißdorn, Schlehen, Hasel und Holunder, außerdem gab es in dieser »Feldapotheke« Heilkräuter und Färbepflanzen. Den Begriff »Unkraut« (frz. mauvaises herbes) möchte Sonia Feertchak aber auch unabhängig davon nicht gelten lassen und zitiert ein Bonmot der literarischen Figur Miss Marple: »After all, a weed is just a plant in a place you don’t want it to be.« Zudem sind Wallhecken keineswegs einfach sich selbst überlassene Natur am Feldrand – sie bedürfen der regelmäßigen Pflege. Dazu gehören ein wiederkehrender Rückschnitt der Sträucher, das Nachpflanzen von Gehölzen, die Herausnahme von Bäumen und das Ausbessern der Wälle.
Flurbereinigung: Ein Großteil der Fauna kann in der Agrarlandschaft nur in solchen Hecken überleben. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft durch Monokulturen, größere Flurstücke und größere Maschinen verschwanden die artenreichen Heckensäume vielerorts und mit ihnen auch Nist- und Brutmöglichkeiten, Nahrungsangebot, Winterverstecke und Spähwarten für die Fauna. Je großräumiger die landwirtschaftlich genutzten Äcker, desto geringer die Biodiversität, desto ausgeräumter und ärmer die Landschaft. Während ich bei Reisen durch die Normandie jedesmal die Bocage-Landschaft bestaune, geht es der Autorin wiederum in England so. Im ländlichen Frankreich dagegen verschwinden jährlich Tausende Kilometer an Hecken, beklagt Feertchak, und nennt Zahlen des Ministère de l’Agriculture: Zwischen 2006 und 2014 gingen pro Jahr 10400 Kilometer verloren, zwischen 2017 und 2021 mit 23500 Kilometern mehr als das Doppelte, und das trotz politischer Förderprogramme für Neuanpflanzungen – man möchte von einem Heckenmassaker sprechen. Seit 1950 hat Frankreich 70 Prozent dieser Form einer jahrhundertealten Kulturlandschaft verloren. Dabei ist die ökologische Bedeutung des Bocage als Lebensraum für Flora und Fauna in Zeiten des Artensterbens größer denn je.
Sonia Feertchak, Éloge de la haie, Philosophie Magazine Éditeur, Paris 2024