PARISER DÖRFER: MOUZAÏA

Villa oder Cité? Im 19. Arrondissement, gar nicht weit vom Parc des Buttes-Chaumont und nur ein paar Schritte von der Métro-Station Botzaris entfernt, beginnt eine völlig andere Welt. Parallel ziehen sich rund ein Dutzend von Grün überwucherte Wege am Hang hinauf, gesäumt von kleinen Vorgärten und niedrigen Häuschen – manche bunt verputzt, andere aus Backsteinen erbaut. Das verwunschene Ambiente erinnert an kleine Orte in der Normandie oder anderswo im ländlichen Frankreich, nur nicht an den hektischen Trubel einer Großstadt. Dass das malerische Pariser Fleckchen wie geschaffen für Instagram-Posts ist, nutzten bei meinem Spaziergang gerade zwei Freundinnen zum Fotografieren. Die schmalen Gässchen mit altem Kopfsteinpflaster heißen Villa des Lilas, Villa de Bellevue oder Villa du Progrès. In den äußeren zehn Arrondissements trifft man recht häufig mit Villa oder Cité benannte Straßen, oft Sackgassen. Es handelt sich um (teils durch Gittertore versperrte, teils zugängliche) Privatstraßen, eine Art Vorläufer der »gated communities«. Während darunter auch einige – wie die Villa Léandre am Montmartre, die Cité des Fleurs im 17. Arrondissement oder die schicke Villa Molitor in Auteuil – mit recht luxuriösen Häusern aufwarten, ist das Mouzaïa-Viertel einst für Arbeiter erbaut worden.

Gipssteinbrüche: Und der Name, der sich anhört wie aus Tausendundeiner Nacht? Das Mouzaïa-Viertel wurde rund um die gleichnamige Rue de Mouzaïa angelegt und nach dem Ort einer Schlacht der Kolonialzeit in Algerien benannt. Die rund 250 Häuschen dort wurden auf sehr kleinen Parzellen ursprünglich als bescheidene Unterkünfte für Arbeiter auf einem ehemaligen Gipssteinbruch gebaut. Nicht nur hier, an vielen Stellen in Paris gab es einst Steinbrüche und Bergwerke, die im Tagebau oder unter Tage dem Abbruch von Gips- oder Kalksteinen dienten – als Bau- und Brandschutzmaterial (so auch am Montmartre, wo etwa der Friedhof ein aufgelassenes Steinbruchgelände nutzt und die Metrostation Abbesses technisch besondere Herausforderungen stellte). Auch der nahe Parc des Buttes-Chaumont liegt noch auf dem Areal der einstigen, Anfang der 1870er-Jahre stillgelegten »carrières«, die mit 25 Hektar Ausdehnung weit größer waren als das heutige Quartier Mouzaïa. Die abgebauten Gipsblöcke (»gypse«) wurden gebrannt und in speziellen Gipsmühlen zermahlen – das so entstandene Gipspulver (»plâtre«) konnte als Gipsputz oder Gipsstuck verwendet werden. Dank der enormen unterirdischen Vorkommen wurde im 18. und 19. Jahrhundert in und um Paris Gips in großem Maßstab abgebaut und nach der Erfindung des industriellen Gipsbrennofens erlangte der »plâtre de Paris« auch außerhalb Frankreichs Renommée.

Sehr angesagt: Weil das Gelände durch die ehemaligen Steinbrüche unterhöhlt ist, war es nicht möglich, massivere Bauten zu errichten. Aufgrund dieser Beschränkung konnte der Architekt Paul Fouquiau nur kleine Katen mit einem Obergeschoss und geringer Wohnfläche planen. Und da der Untergrund nach wie vor instabil ist, blieb das ab den 1880er-Jahren entstandene friedliche Idyll unverändert erhalten. In vielen Gärten darf das Grün den Zaun überwuchern – Wein, Glyzinien, Efeu, Geißblatt, Flieder, Jasmin, Rosen – und autofrei sind die Sträßchen zwischen den Häuserreihen auch. Heute schätzt sich glücklich, wer eines der charmanten Reihenhäuschen bewohnt, doch Arbeiter können sich die aufgerufenen Preise nicht mehr leisten (beispielsweise wie gerade in einer Immobilienanzeige: 1,25 Mio. Euro für 109 Quadratmeter Wohnfläche und 16 Quadratmeter Garten/Terrasse).

Paris Quartier de Mouzaia

Paris Quartier de Mouzaia

Paris Quartier de Mouzaia

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