PARIS UND DER LÄRM
Paris wird leiser: Zumindest der vom Verkehr verursachte Lärm nimmt ab in Paris, das zeigen die Karten zur »nuisance sonore« von Bruitparif. Dennoch überschritt die Lärmbelastung für 73,6 Prozent der Pariserinnen und Pariser den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Wert im Jahr 2023 (87,4 Prozent in den Jahren 2012–2017). Also nach wie vor eine hohe Zahl trotz der Verringerung. Die WHO empfiehlt für die durchschnittliche Belastung durch Straßenlärm einen Dauerschallpegel von 53 dB(A) nicht zu überschreiten. Selbst den höheren gesetzlichen Grenzwert von 68 Dezibel überschritten die Messwerte bei 10,4 Prozent der Einwohner (zuvor 12,7 Prozent). Unabhängig von solchen Grenzwerten und tatsächlich gemessenen Dezibel erklärten 79 Prozent der Einwohner im Großraum Paris anlässlich einer Untersuchung im Jahr 2022, dass sie einer zu hohen Lärmbelastung ausgesetzt seien (durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut IFOP).
Urbane Geräuschkulisse: Für die »akustische Diagnose« der Lebensqualität in der französischen Hauptstadt, im Ballungsraum Grand Paris und in der Ile de France erstellt Bruitparif, eine gemeinnützige Umweltorganisation, seit 2018 Karten, die als Grundlage für den Kampf gegen den Lärm dienen, im Verwaltungsjargon »Plans de Prévention du Bruit dans l’Environnement (PPBE)« genannt, der 2019 verabschiedet wurde. Nach wie vor ist der motorisierte Verkehr eine der Hauptquellen, erst nach dem Straßenlärm folgen Geräusche von Bahn und Flugverkehr. Dabei gibt es einleuchtenderweise große Unterschiede zwischen Flughafenanrainern und anderen Wohngegenden. Da Lärm zu den wichtigsten Stressoren zählt und gesundheitsschädlich sein kann, errechnete Bruitparif, dass die von Lärmbelastung betroffenen Menschen acht Monate Lebenszeit verlieren, besonders stark ausgesetzte Menschen sogar bis zu 19 Monate (etwa in Ablon-sur-Seine, Villeneuve-le-Roi und Villeneuve-Saint-Georges). Auch für Gewerbe- und Baulärm, Musik im Freien, Außengastronomie, Freizeitlärm und Ähnliches gibt es Vorschriften und Regeln, doch die inzwischen ergriffenen Maßnahmen gelten vor allem den Bereichen, in denen Grenzwerte durch den Verkehrslärm überschritten werden. www.bruitparif.fr
Lärmaktionsplan: Dass der Lärmschutz schon Wirkung zeigt, liegt einerseits daran, dass fast flächendeckend niedrigere Tempolimits eingeführt wurden und große Straßenachsen Fahrradwege anstelle von Fahrspuren erhielten (Rue de Rivoli, die Seine-Quais, der Boulevard de Sébastopol beispielsweise…). Außerdem wird ein leiserer Asphalt (»bitumen anti-bruit«) getestet, werden ältere Fahrzeuge sukzessive aus der Stadt verbannt, werden leisere Transportarten (mit Elektrofahrzeugen und Lastenrädern) gefördert und Schallschutzmauern an den größten Lärmquellen (»points noirs du bruit«) errichtet. Zudem erprobt Frankreich »Lärmblitzer«: Die Schallfallen, »Méduse« genannt, kombinieren Mikrofone mit einem klassischen Blitzer und fotografieren die Kennzeichen überlauter Fahrzeuge. Für die neue Technologie interessieren sich auch andere Länder … Die französischen Lärmblitzer sollen ab einem Lärmpegel von 84 Dezibel reagieren. Aktuell gelten in der EU Lärmgrenzwerte zwischen 72 und 75 Dezibel für Pkw, 77 Dezibel für Motorräder und 80 Dezibel für Lastwagen.
Lärm früher und heute: Städte waren auch in der Vergangenheit nie leise. Schon Louis-Sébastien Mercier beschreibt in seinem »Tableau de Paris« (1781–1789) die lautstarken Rufe der Straßenhändler im vorrevolutionären Paris als unerträgliche Kakophonie. »Nein, in keiner Stadt der Welt haben die Straßenhändler so schrille und gellende Stimmen. Man kann hören, wie ihre Stimmen über die Dächer schallen; ihre Kehle übertönt Lärm und Tumult der Kreuzungen. [.. All diese mißtönenden Rufe bilden einen Zusammenklang, von dem man sich keinen Begriff machen kann, wenn man ihn nicht gehört hat.« Und Kai-Ove Kessler hat für seine Geschichte des Lärms so viele Klagen über Lärm aus vielen Jahrhunderten zusammengetragen, dass das Fazit seiner akustischen Reise durch die Epochen nur der Titel seines Sachbuchs sein kann: »Die Welt ist laut« (Rowohlt, Hamburg 2023). Weil Menschen und Waren permanent zirkulierten, erschien die betriebsame urbane Umwelt auch früher schon als laut – ob nun Glocken klangen, Kutschen über Kopfsteinpflaster rollten oder Dampfmaschinen stampften.
Ruhe bitte! Als Gegenreaktion setzten sich gepeinigte Großstädter schon früh für das »Recht auf Stille« ein. Erste Anti-Lärm-Bewegungen traten in Erscheinung, doch erst im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter der Mobilität, zeigen gesetzliche Maßnahmen spürbare Wirkung. In den 1950er-Jahren setzen das französische Gesundheitsministerium und die Medizin-Akademie Lärm-Kommissionen ein, Arbeitsmediziner propagieren den Kampf gegen Krach. 1959 verbietet der Polizeipräfekt das Hupen in der Hauptstadt, die Bürgerinitiativen gegen die Erweiterung des Orly-Flughafens in den 1960er-Jahren bringen das Thema in die Öffentlichkeit. 1971 wird Lärm offiziell in den »Précis général des nuisances« aufgenommen, fünf Jahrzehnte später hat selbst die EU »Umgebungslärmrichtlinien« geschaffen und veröffentlicht regelmäßig Ergebnisse der Lärmkartierung. »Noise country fact sheets« zeigen alle fünf Jahre die Lärmbelastung in einzelnen EU-Mitgliedstaaten (zuletzt 2021). Für Paris musste ich alte Fotos heraussuchen, wie es heute aussieht, zeigen meine Beiträge über Radfahren und Klimaschutz in Paris.