NACHHALTIGKEIT IM WEINBAU

Verpackungsmüll durch Online-Handel: Nur zwei Mal habe ich Weine im Onlineversand bestellt – einmal mehrere französische Chenin Blancs von der Loire für eine Weinprobe, weil sie in Deutschland nicht anders zu bekommen waren, das andere Mal schien die Fahrt bis zum Kaiserstuhl zum Weingut Salwey das größere Umweltübel. Doch die Massen an Verpackungsmüll, die dabei anfallen, schockierten mich, trotz der Tatsache, dass Glas nun mal bruchsicher unterwegs sein sollte. Meist kaufe ich Wein in größeren Mengen einmal jährlich direkt beim Winzer oder der Winzerin – in Stuttgart-Nähe sind die Wege ins Remstal erfreulich kurz. Doch was tun, es gibt ja weiterhin Weine, die selbst in Großstadt-Weinhandlungen nicht unbedingt zu bekommen sind… Food-Coops? Also Einkaufsgemeinschaften wie beim Direktimport von Orangen aus Südspanien oder Olivenöl aus Kreta?

Respekt vor dem natürlichen Gleichgewicht: Dass im Weinbau – in Deutschland wie in Frankreich – immer mehr Winzer auf Bio-Anbau oder Biodynamie setzen, kann man nur uneingeschränkt begrüßen. Viele Weingüter sind auch Mitglied bei Demeter, Bioland und/oder Ecovin und respektieren deren strenge Vorgaben. Die Fair’nGreen-Zertifizierung will noch weitergehen und die gesamte Wertschöpfungskette – vom Weinberg bis zur Flasche – in den Blick nehmen. Die Aspekte reichen vom Wasser- und Stromverbrauch über die Erhaltung von Lebensräumen und Biodiversität über Bodenverbesserung und Abfallvermeidung bis hin zu fairen Arbeitsbedingungen in den Weingütern. Zu den konkreten Maßnahmen gehören beispielsweise das Umstellen auf ressourcenschonende Leichtglasflaschen, die einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß verursachen. Als erste deutsche Genossenschaft kann sich die Weinmanufaktur Untertürkheim seit dem 10. September 2019 nun auch mit dem neuen Nachhaltigkeitssiegel schmücken. Für die Qualität ihrer Weine wurden die Genossen vom Neckar schon oft mit Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Rotweinpreis  »Roter Riese«, beim Rosé Cup, Best of Riesling oder Sektpreis. Gratulation! Die Zertifizierung der Baden-Württemberger Weingenossenschaft war für mich der Anlass, mal nachzuforschen, was es jenseits der Pressemeldungen damit auf sich hat…

Fair’n Green: Der Verein wurde im November 2013 aus einem Zusammenschluss verschiedener Weingüter, als Initiative aus der Praxis, gegründet und setzt sich gemeinsam mit seinem wissenschaftlichen Beirat für nachhaltigen Weinbau ein. Dabei soll es nicht nur um die Arbeit im Weinberg gehen, sondern um den ganzen Betrieb und seinen »ökologischen Fußabdruck«. Unter den Mitgliedern sind renommierte Namen vertreten, Meyer-Näkel von der Ahr, Philipp Kuhn aus der Pfalz, Künstler im Rheingau beispielsweise, Ex-Umweltminister Klaus Töpfer signalisiert Unterstützung, mit der Hochschule Geisenheim besteht eine Zusammenarbeit. Man möchte auch ins europäische Ausland expandieren, in Österreich und im Elsass konnten vereinzelt schon Mitglieder geworben werden.

Qualitätssiegel in der Kritik: Noch ein weiteres Siegel für Nachhaltigkeit? Man weiß ja inzwischen, dass Siegel wie das FSC für nachhaltige Waldwirtschaft durchaus kritisch zu sehen sind, denn sie sagen nur etwas über das Holz aus, bei der Buchproduktion aber nicht über verwendete Chemikalien für die Papierherstellung. Dass Fair’nGreen Beratung und Zertifizierung anbietet, irritiert – kauft sich hier der Winzer oder die Genossenschaft über teure Beratung durch die involvierte Athenga GmbH (der Geschäftsführer ist zugleich Vorstandvorsitzender des Vereins) ein geldwertes Label? Wenig überzeugt auch die Tatsache, dass im Beirat nur zwei Frauen vertreten sind, im siebenköpfigen Vorstand nur eine. Das wirkt doch eher so, als hätten hier ein paar Cleverles (um die alten weißen Männer mal aus dem Spiel zu lassen) ein neues Geschäftsmodell entwickelt.

Zertifizierung eröffnet Marktchancen: Ein Blick in die Leitlinien und Ziele des Vereins verschafft nur bedingt Klarkeit: Alles lobens- und wünschenswert – weniger CO2-Emissionen, erneuerbare Energien, faire Arbeitsbedingungen. Ich wünsche mir dafür durchaus eine möglichst breite Lobby. Doch so lange nicht transparent ist, was der 2013 gegründete Verein für die »Beratung« verlangt, bleibt ein Geschmäckle. Klartext über die Kosten sind auf der Website des Vereins nicht zu finden. »Die Kosten der Zertifizierung richten sich nach Ihrer bewirtschafteten Fläche (in ha) sowie nach Ihrer verarbeiteten und vermarkteten Menge (in Liter). Neben den Zertifizierungs- und Beratungskosten, zahlen Sie einen Mitgliedschaftsbeitrag, der an die Größe der bewirtschafteten Fläche gekoppelt ist. Zudem fallen Entgelte für die externe Überprüfung an.« Es bleibt offen, wer sich die Zertifizierung überhaupt leisten kann. So lobenswert faires, nachhaltiges und naturnahes Wirtschaften ist, hier geht es nicht zuletzt ums Geschäft. So wurden in den skandinavischen Ländern mit ihren hohen Umweltstandards und dem streng reglementierten Alkoholkonsum unlängst diverse internationale Weinqualitätssiegel geprüft und detailliert evaluiert  – nur rund ein Dutzend wurden als valide eingestuft und für den Weinimport empfohlen.

Wirrwarr oder Vielfalt? Andere Initiativen wie das Netzwerk Nachhaltiger Wein und das 2009 gegründete Deutsche Institut für Nachhaltige Entwicklung e.V. (DINE e.V.) der Universität Heilbronn beackern das Thema nachhaltige Weinwirtschaft ebenfalls. Auch die Zertifizierung mit dem FairChoice-Siegel berücksichtigt Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichermaßen. In Österreich hat der nationale Weinbauverband ein Online-Tool für Winzer zur Eigenanalyse entwickelt und zertifiziert als »Nachhaltig Austria«, in Frankreich beschäftigt sich das Institut du Vin et de la Vigne (das nationale Weinforschungsinstitut) mit dem »développement durable viniviticole«, zudem gibt es mit Terra Vitis ebenfalls ein schon mehrere hundert WinzerInnen umfassendes Netzwerk. In der Schweiz wiederum will Vitiswiss dem Gütesiegel »Vinatura« mehr Geltung verschaffen. Dem Konsumenten ist nur weiterhin zu raten, wie bei Fairtrade- oder Gentechnik-frei-Siegeln kritisch zu bleiben, sich zu informieren und Labeln nicht blind zu vertrauen.

www.fairandgreen.de

http://nachhaltiger-wein.net/

www.fairchoice.info

Vitiswiss: https://pro.swisswine.ch/de/vitiswiss-de

Terra Vitis: https://terravitis.com

Österreichischer Weinbauverband: www.der-winzer.at

Weinmanufaktur Untertürkheim: www.weinmanufaktur.de

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