LUTZ HACHMEISTER: HÔTEL PROVENÇAL
Mythos Côte d’Azur: Dieses Buch lege ich beim Lesen immer mal wieder aus der Hand. Paradoxerweise, gerade weil es so fesselnd ist. Aber zwischendurch muss ich doch schnell nachschauen, ob es eine Biografie von Florence Gould gibt (nur auf Englisch). Oder ob »Lehrjahre in Frankreich« von Golo Mann im Regal steht (ja). Ob ich in Juan-les-Pins eigentlich ein Foto vom Hotel Provençal oder vom Pam Pam gemacht habe (nein). Und ob Erika Mann, Manfred Flügge, Françoise Frenkel, Patrick Modiano vorkommen (ja)? Denn das materialreiche Buch von Lutz Hachmeister zur glamourösen »Geschichte der Côte d’Azur« ist vermutlich um so angenehmer und kurzweiliger zu lesen, je mehr Hintergrundwissen man mitbringt, da er vieles nur kurz streift und gleich schon wieder bei der nächsten Anekdote, Tagebuchnotiz oder kleinen Geschichte ist, die Erhellendes beiträgt – zur Architektur, zum Tourismus, zur Emigration, zum Jazz, zum Oben-Ohne-Sonnen, zur Lost-Generation, zur Literatur und zu vielem mehr.
Vom Hotelpalast zur Bauruine: Lutz Hachmeister, Jahrgang 1959, ist Journalist und Filmemacher, der unter anderem schon mehrere Dokumentarfilme zur französischen Riviera gedreht hat – auch speziell zum Hôtel Provençal, der seit Jahrzehnten leerstehenden Ruine des einstigen Nobelhotels in Juan-les-Pins (via Youtube noch zu sehen). Das Prestigeprojekt des Multimillionärs Frank Jay Gould war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Treffpunkt von Politik, Adel, Geld und internationalem Jetset. Das Schicksal des titelgebenden ›Hôtel Provençal‹ bildet den Hintergrund für eine farbige, detailreiche Geschichte der Côte d’Azur. Der Autor hat viele einzelne biografische, literarische und historische Fundstücke zu einem sehr lesenswerten Buch verdichtet, in dem er den roten Faden nie aus den Augen verliert, auch wenn er einzelnen Protagonisten schnell mal nach Paris oder New York folgt.
Recherche Recherche Recherche: Gute Dokumentarfilme und gute Sachbücher haben einiges gemeinsam. Sie sind nicht allzu simpel gestrickt, in sich schlüssig und überschreiten die Grenzen des bereits Bekannten, erweitern den Horizont, auch wenn der Grundanspruch lautet, Situationen und Begebenheiten, Menschen und Dinge zu zeigen, die es in der Wirklichkeit tatsächlich gab oder gibt. Mein ganz persönliches Kriterium für ein gutes Sachbuch oder einen guten Dokumentarfilm ist darüber hinaus, dass nicht nur Zusammenhänge und Themenvernetzung deutlich gemacht werden, sondern ich als Leserin oder Zuschauerin zum Weiterforschen und Erkunden, zur vertieften Auseinandersetzung angeregt werde. So ein Buch ist die »Geschichte der Côte d’Azur« von Lutz Hachmeister. In Zeiten von Fake News, in denen populäre Sachbücher eher »meinungsstark« daherkommen müssen, wollen sie Bestseller-Ambitionen erfüllen, sind Anmerkungen und eine 15-seitige Literaturliste bei gerade mal etwas mehr als 200 Seiten Umfang also außerordentlich begrüßenswert. Ohne das Verdienst des Autors schmälern zu wollen, hinter der umfangreichen Recherche steckt ein Stück weit viel Teamarbeit, darauf verweist er auch selbst in der Danksagung.
Lutz Hachmeister, Hôtel Provençal. Eine Geschichte der Côte d’Azur, C. Bertelsmann