KATJA DIEHL: AUTOKORREKTUR

Automobilität: Neben vielen Menschen, die gern Auto fahren, gibt es auch all jene, die das nicht möchten, es nicht (mehr oder noch nicht) dürfen oder es sich nicht leisten können. Und andererseits diejenigen, die notgedrungen Auto fahren müssen, ohne es zu wollen, weil es anders nicht geht. Wie viel Zündstoff der Einsatz von Katja Diehl für eine lebenswerte, menschen- und klimafreundliche Mobilität in sich trägt, auch das ist auf Twitter offenkundig – dort nimmt ja keiner, neutral gesagt, ein Blatt vor den Mund. Dort postet Katja Diehl so viel Beiträge , dass ich mir ihr Sachbuch zur Verkehrswende gar nicht kaufen wollte, nach dem Motto: Ich lese ja ohnehin jeden Tag, wie es um den Stand der »Autokorrektur« aktuell aussieht und teile ihre Einschätzungen über die Ungerechtigkeit des bestehenden Verkehrssystems. Aber es lohnt sich unbedingt, ihr Buch zu lesen.

Lebenswerte Städte, mobiler ländlicher Raum: Und ebenso wie Katja Diehl bin ich der Ansicht, dass elektrische Antriebe oder gar Flugtaxis keine Lösung sind und die bestehende Misere nicht ändern. Der Status quo: In Deutschland brauchen Stadtbewohner:innen kein eigenes Auto, leiden aber unter denen anderer, auf dem Land geht es nicht ohne. Und bestimmten Personengruppen – Kindern, Alten, Behinderten, Armen, Frauen, Fußgängern, Radfahrern – bringt das autozentrierte Verkehrssystem sogar erhebliche Nachteile. Der autogerechte Umbau von Städten ab den 1950er-Jahren stellt eine Zäsur dar – Stadtplanung degenerierte zur Verkehrsplanung. Und seither müssen sich im öffentlichen Raum alle anderen »Verkehrsteilnehmer« dem Auto unterordnen.

Mobilität für alle: Aber wie schon gesagt: Das ist alles bekannt. »Unser Land hat in Sachen Verkehrswende kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem«, das schreibt Katja Diehl gleich zu Beginn, und das zeigt auch der internationale Vergleich: Anderswo bemüht man sich längst um attraktive Alternativen. Welche Chancen und Möglichkeiten sieht die Autorin? Ihr Anliegen ist eine menschenzentrierte Planung, das Ziel klima- und sozial gerechte, barrierefreie Mobilität für alle. Da gibt es viele »heilige Kühe«, von der Dieselsubvention über das Dienstwagenprivileg bis zu Tempolimits, die es anzugehen heißt. Als Katja Diehl auf Twitter die Frage stellte, was sich User:innen für die 6000 Euro Kaufprämie für E-Autos am liebsten zulegen würden – eine Bahncard100, ein Lastenrad, einen E-Scooter oder ein Auto –, entschieden sich mehr als 50 Prozent der Befragten für die Bahncard100. Ein wichtiger Schritt wäre also, nicht nur Autofahrer:innen mit Kaufprämien zu belohnen, sondern auch andere Formen der Mobilität mit Anreizen zu versehen – beispielsweise durch ein Deutschlandticket für alle öffentlichen Verkehrsformen.

Ein Privileg, kein »Recht«: Ein weiterer Schritt ist es ehrlich zu sagen, dass der Platz vom Auto kommen muss, wenn Städte attraktiver werden sollen. Die Praxis, sein ungenutztes Privateigentum einfach legal und kostenlos am Straßenrand abzustellen, muss als »Flächenungerechtigkeit« in Frage gestellt werden. Ältere Menschen sind auf »Walkability« angewiesen, auf ein Wohnumfeld mit kurzen Wegen, in dem alles Wichtige in fußläufiger Nähe erreichbar ist – so will Bürgermeisterin Anne Hidalgo Paris zur »15-Minuten-Stadt« machen, doch genauso wichtig ist die Nahversorgung im ländlichen Raum. Ideen für alternative Mobilität gibt es genug, Katja Diehl nennt im Buch beispielsweise noch: sichere Abstellanlagen für Fahr- und Lastenräder, Ausbau des europäischen Nachtzugverkehrs, breitere Gehwege, günstige ÖPNV-Sozialtickets für Menschen mit geringem Einkommen, grüne Korridore als Fuß- und Radwege in den Städten, mehr Sitzgelegenheiten (für Ältere, Schwangere…) und vieles mehr.

Ich habe weitere Vorschläge: Warum werden Unternehmen, die sich auf preiswerten Gewerbeflächen jenseits aller Erreichbarkeit mit dem ÖPNV ansiedeln, nicht gezwungen, Werksbusse zu installieren? In Neubau-Vierteln, in dem jedes Gebäude eine Tiefgarage hat, sollte auf Parkbuchten am Straßenrand zugunsten von Grün und Spielbereichen verzichtet werden. Konzerne sollten Subventionen für den Bau von Werkswohnungen erhalten statt für Dienstwagen. Immobilieneigentümer für Maßnahmen gegen Versiegelung. Carsharing-Angebote sollten kostenfreien Parkraum erhalten, alle anderen nicht. Bahnen und Busse mit niveaugleichem Ausstieg statt des Umbaus ganzer Städte mit barrierefreien Haltestellen auf Kosten der Steuerzahler:innen. Höhere Kfz-Steuer für SUVs und Pick-ups. Reaktivierung aller stillgelegten Bahnstrecken. Nachbarschaftsgärten auf Dächern. Und vieles mehr. Wie Katja Diehl sagt: Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

 

Katja Diehl, Autokorrektur. Mobilität für eine lebenswerte Welt, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022