ILE D’OLÉRON FÜR FOODIES

Austern, Muscheln, Fisch: So lautet der Dreiklang der Insel – das Anbaugebiet Marennes-Oléron ist mengenmäßig der größte Austernpark Frankreichs und sogar Europas, der Hafen La Cotinière ist vom Umsatz der siebtgrößte Fischereihafen Frankreichs, auch die Miesmuschelzucht an Muschelbänken oder Pfählen (moules de bouchot) spielt eine große Rolle – die Aquakultur hat hier etwas von Landwirtschaft, bei Ebbe werden die Austernparks und Muschelfarmen gepflegt wie anderswo die Felder.

Die Austern aus Marennes gelten als ausgezeichnet, ungekrönter König unter den Züchtern (ostréiculteurs) ist Gillardeau. In seiner Austernzucht in Bourcefranc Le Chapus, einer kleinen Stadt im Département Charente-Maritime, direkt am Fuße der Brücke vom »Kontinent« zur Ile d’Oléron, produziert das 1898 gegründete traditionsreiche Familienunternehmen in der vierten Generation höchst renommierte, fleischig große Austern, die sogenannten »Spéciales« (www.speciales-gillardeau.fr). Wie ein Gütesiegel funktioniert das mit Laser in die Schale geprägte »G« bei Gourmets. Weil die Austern empfindlich reagieren – zu warmes oder schmutziges Wasser setzt ihnen zu – betreibt Gillardeau die Austernzucht inzwischen in Irland, an der Südwestspitze Portugals und an anderen Orten in ganz Europa, nur der Hauptsitz befindet sich noch in Bourcefranc. Und ein Automat, in dem man rund um die Uhr frische Austern bekommt!

Zuerst wachsen die Austern – von netzartigen Plastiksäcken vor Fressfeinden wie Krabben geschützt – an langen Gestellen in der weiten Bucht von Marennes. Regelmäßig müssen die Austern gewendet und geschüttelt werden, damit sie nicht zusammenwachsen. Nach mindestens drei Jahren kann man auf der Austernfarm dann »ernten«… In den »claires«, so werden die Aufzuchtbecken genannt, werden die Austern dann noch »veredelt«. Bei Flut dringt das Meerwasser über ein ausgeklügeltes Kanalsystem in das Labyrinth aus ehemaligen Becken zur Salzgewinnung. Dank einer bestimmten Alge entwickeln sie dort eine grüne Farbe.

Pêche à pied: Aber abgesehen davon, dass man Fisch und Meeresfrüchte auf der Ile d’Oléron frisch einkaufen und in Restaurants frisch zubereitet essen kann – zu den Lieblingsbeschäftigungen im Urlaub hier gehört die »pêche à pied«, die Gezeitenfischerei. Kaum zieht sich das Wasser bei Ebbe zurück – nix wie raus mit dem Sammeleimer, heißt die Devise. Muscheln, Seeschnecken, Krabben von den trockengefallenen Felsen oder aus dem Schlick landen dann im Eimer der Strandfischer, mit ein wenig Glück auch wilde Austern … Übrigens darf jeder die Delikatessen ganz rechtmäßig für den eigenen Bedarf aus dem Sand sammeln und von den Felsen pflücken – einzig die Menge jeder genießbaren Meeresfrucht, die geerntet werden darf, und ihre Mindestgröße sind festgelegt.

Mouclade: Das für die Charente typische Muschelgericht mit Curry hatte ich von einer früheren Reise an die Atlantikküste in legendärer Erinnerung. Leider habe ich es in den Fischrestaurants der Hafenorte nicht wieder in vergleichbarer Form bekommen. Auf der Karte standen nur Miesmuscheln mit Currysauce, aber das ist nicht dasselbe! Denn bei der originalen Charentaiser Spezialität wird nicht einfach Currysauce über einen Topf Miesmuscheln gekippt. Im Gegenteil, zur mit Sorgfalt zubereiteten Curry-Sahne-Sauce gehört auch ein hübsch arrangierter Teller. Ganz klassisch wird das Rezept mit 2 kg Miesmuscheln, 4 Schalotten, 50 g Butter, 150 ml Weißwein zubereitet. Dafür werden die Miesmuscheln erst in Weißwein gegart, dann der Sud eingekocht und mit 250 g Sahne oder Crème fraîche, 1 EL Curry und 1 Eigelb verfeinert. Von den beiseitegestellten Muscheln werden alle leeren Schalenhälften entfernt und die Hälften mit Muschelfleisch kunstvoll kreisförmig auf einem flachen Teller arrangiert und mit der Sauce noch kurz im Ofen überbacken. Manche Varianten enthalten auch Safran, Pineau des Charentes oder Cognac.

Fisch im Glas: Außer dem Geschäft der Belle Iloise, in dem die bretonische Fischkonserven mit den bunten Verpackungen zum Verkauf stehen, gibt es in Saint-Pierre d’Oléron auch ein Geschäft der inseleigenen Conserverie La Lumineuse. Wer sich nicht von den »Rillettes de Chien«, den Hunde-Rillettes im Schaufenster abschrecken lässt, kann hier eine feine Auswahl an Fischkonserven probieren. Delphine und Olivier Dupuy, die auch einen Fischgroßhandel und ein Fischgeschäft betreiben, haben 2012 ihre »conserverie oléronnaise« gegründet, die erste und einzige auf der Insel. Probieren lohnt sich, das umfangreiche Sortiment umfasst mehrere Fischsuppen und Tarama, Krebsmousse und Jakobsmuschelmousse, Rillettes von der Makrele, Dorade, Thunfisch, Rotbarbe, aus Sardinen und weiteren Fischen. Auch eine Spezialität der Insel, »salicorne au vinaigre«, Queller in Essig, ist unter den fast zwei Dutzend Produkten.

Produziert wird quasi direkt aus und neben dem Atlantik: Die behutsame Verarbeitung des frischen Fangs direkt im Hafen von La Cotinière sorgt für Qualität: Guter Dosenfisch zerfällt nicht, wenn er nur kurz erhitzt und von Hand in die Dose geschichtet wurde. Ohne Zusatz-, Farb- oder Konservierungsstoffe wird der Fisch haltbar gemacht, hier meist im Glas, nicht in Blechbüchsen. Ein Teil wird noch auswärts zugekauft, der Lachs etwa, aber vorzugsweise wird in La Cotinière lokaler Fang verarbeitet – immerhin fast 100 verschiedene Fische und Meeresfrüchte bringen die Fischer hier an Land, insbesondere Hummer und Kaisergranat, Seebarsch, Seehecht und Seezunge und viele andere. Keine Überraschung – hinter dem Chien verbirgt sich auch ein Fisch, der Hundshai.

Nach der goldenen Ära der Fischkonserve in den 1960er-Jahren litt ihr Ruf. Erst seit ein paar Jahren ist Dosenfisch wieder hip, teils weil traditionsreiche Hersteller oder Newcomer in Frankreich, Spanien oder Portugal die Verpackung zeitgemäß oder im Retro-Design stylten, teils weil ganze Bars in Lissabon, London und in Paris nur Dosenfisch servieren und damit offensichtlich Trends setzten. Keine Frage: Der Laden in Saint-Pierre d’Oléron ist einen Besuch wert.

Pineau des Charentes: Als ich den in Frankreich sehr beliebten Weinaperitif, eine Spezialität der Region Poitou-Charentes, beim Dorfwirt probieren wollte, fragte er zurück: »Rot oder Weiß?«. Unschlüssig bestellte ich den Weißen, aber als ausgesprochen freundlicher und gut gelaunter Zeitgenosse bestand er darauf, dass ich dann auch den – in der Charente noch beliebteren – Roten probieren müsse. Aus Versehen soll ein Cognac-Brenner Traubenmost in ein Fass gefüllt haben, das noch eine gewisse Menge Cognac enthielt. Richtig an der Legende: Für Pineau wird Traubenmost mit Cognac mit mindestens 60 Prozent Alkoholgehalt versetzt, um eine Gärung zu unterbinden. Für den Weißen werden größtenteils die Trauben verwendet, die auch für die Cognac-Herstellung bestimmend sind, vor allem Ugni Blanc, für den Roten kommen Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und Merlot und Malbec zum Einsatz. Gut gekühlt, schmeckt der Pineau als Aperitif oder auch als Dessertwein zu Melone.

Engelwurz: In den Bäckereien der Ile d’Oléron lagen Galettes in Keks- und Kuchengröße aus, appetitlich aufgestapelt oder schon in transparenten Tütchen verpackt. Das flache Gebäck gibt es nicht nur »nature«, sondern auch als »Galettes aux Angeliques« – mit Stücken von Engelwurz. Die unter »Kräuterhexen« sehr angesehene Heilpflanze ist im nahen Niort kandiert eine süße Spezialität. Und so kommen hier – wie anderswo Orangeat oder Zitronat – als Backzutat kleine kandierte, leuchtendgrüne Stückchen vom Engelwurz-Stängel in den Teig. Übrigens: Außer als Heilpflanze findet das Doldengewächs (Angelica archangelica) auch als Bestandteil von Bitter- und Kräuterlikören Verwendung.

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